Geschichte

… und 2005 in Gotha

von Die Redaktion · 12. Dezember 2005
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Bebel, obwohl in Leipzig in Arbeiterbildungsvereinen aktiv, hatte sich 1863 dem Appell Lassalles "Der Arbeiterstand muss sich als selbstständige politische Partei konstituieren" nicht angeschlossen. Er - und mit ihm viele Mitglieder der Arbeiterbildungsvereine - hatte Vorbehalte gegen die Initiative Lassalles, u.a. wegen dessen "Staatsfixierung": Lassalle hoffte auf Hilfe des (preußischen) Staates bei der Bildung von "Produktivgenossenschaften" und der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts. 1862 und 1864 führte Lassalle dazu sogar Gespräche mit dem preußischen Ministerpräsidenten Bismarck.

Bebel und seine Anhänger waren gegen den preußischen Obrigkeitsstaat und daher auch gegen die Herstellung der nationalen Einheit Deutschlands unter Preußens Führung. Gemeinsam mit antipreußisch und "Lassalle-kritisch" eingestellten Arbeiterbildungsvereinen gründeten Bebel und Liebknecht im August 1866 zunächst die "Sächsische Volkspartei", für die sie 1867 in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt wurden, in dem auch "Lassalleaner" vertreten waren. In das Eisenacher Programm vom August 1869 übernahm die neu gegründete "Sozialdemokratische Arbeiterpartei" (SDAP) die wichtigsten Grundgedanken Lassalles, die bis zum Berliner Programm von 1989 Leitgedanken sozialdemokratischer Politik geblieben sind: Die Arbeiterbewegung muss sich als selbstständige politische Partei organisieren und für politische Freiheit und Demokratie kämpfen, denn diese sind zugleich die Grundlage für die Durchsetzung der sozialen und ökonomischen Interessen der arbeitenden Bevölkerung.

Trotz dieser Übereinstimmung zwischen den "Eisenachern" und den "Lassalleanern" war die Zeit noch nicht reif für die Vereinigung aller Sozialdemokraten in einer Partei. Doch der SDAP gelang es, breitere Kreise der Arbeitervereine und der Arbeiterschaft anzusprechen und sie für die Mitarbeit in einer Partei und für den Kampf um Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu motivieren.

Bebels selbstloses und opferbereites Engagement angesichts polizeistaatlicher Verfolgung machte ihn in kurzer Zeit zu einem charismatischen und glaubwürdigen Führer der Sozialdemokratie. In ihrer heroischen Aufstiegsphase avancierte er zum "Kaiser der Arbeiter und der kleinen Leute" (Willy Brandt). Bebel und auch Liebknecht verbrachten nach Gründung der SDAP wegen der "Verbreitung staatsgefährlicher Lehren" viele Jahre in Gefängnis- und Festungshaft. Nach ihrer ersten Verurteilung 1869 wurden sie Ende 1870 erneut verhaftet und des Hochverrats angeklagt: Nach Ausbruch des Krieges mit Frankreich hatten sie sich im Norddeutschen Reichstag bei der Abstimmung über Kriegsanleihen zunächst der Stimme enthalten. Als nach dem Sturz Napoleons Bismarck den Krieg gegen die französische Republik fortsetzte, stimmten sie gegen weitere Kriegsanleihen. Sie forderten einen Frieden mit Frankreich ohne die Annexion von Elsaß-Lothringen.

Obwohl in Haft, wurde Bebel bei den Wahlen zum 1. Reichstag im März 1871 in seinem legendären Wahlkreis Glauchau-Meerane wiedergewählt. Während die SPD infolge der nationalistischen Stimmung nach der Reichsgründung insgesamt nur 3,2 Prozent der Stimmen erhielt, wurde Sachsen mit 17,5 Prozent schon zu einer sozialdemokratischen Hochburg. Bei einer Nachwahl am 20. Januar 1873 errang Bebel, obwohl er wegen seiner Festungshaft gar nicht am Wahlkampf teilnehmen konnte, mit 80 Prozent der Stimmen einen triumphalen Wahlsieg.

Auch 2005 wird die SPD wieder einen wichtigen "Geburtstag" feiern können: Auf dem Parteitag in Gotha vereinigten sich 1875, also vor 130 Jahren, die beiden konkurrierenden Parteien zur "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" (SAP), die dann 1890 den endgültigen Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) erhielt. Damit war die Grundlage für den Aufstieg der SPD zur stärksten Partei Deutschlands schon vor dem 1. Weltkrieg gelegt.

Von Horst Heimann

Quelle: vorwärts 9/2004

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