Geschichte

Trotz Spaltungen: Wie die Sozialistische Internationale weiter besteht

Mehrere Spaltungen, mehrere Neugründungen – und trotzdem existent: die Sozialistische Internationale. Die SPD spielte dabei stets eine wichtige Rolle, auch bei der Gründung der Sozialistischen Arbeiterinternationale vor 100 Jahren.
von Stefan Berger · 22. Mai 2023
Willy Brandt 1986 bei einer Pressekonferenz im Rahmen einer Konferenz der Sozialistischen Internationalen in Bonn: Er war 16 Jahre lang Präsident der SI.
Willy Brandt 1986 bei einer Pressekonferenz im Rahmen einer Konferenz der Sozialistischen Internationalen in Bonn: Er war 16 Jahre lang Präsident der SI.

Vom 21. bis 25. Mai 1923 tagte in Hamburg der Gründungskongress der Sozialistischen Arbeiterinternationale (SAI), am 23. Mai wurde der Gründungsbeschluss verabschiedet. Damit wurde innerhalb der sozialdemokratischen Parteienfamilie die Idee und Praxis des Internationalismus wieder aufgegriffen, die seit dem 19. Jahrhundert zu ihren charakteristischsten Merkmalen gehörte.

Erste Internationale verband viele sozialistische Strömungen

Die Erste Internationale, die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), wurde unter Beteiligung von Karl Marx und Friedrich Engels 1864 in London gegründet. Sie verband sehr unterschiedliche sozialistische Strömungen, die schon bald nach Gründung der Organisation interne Grabenkämpfe begannen, besonders zwischen anarchistischen Strömungen rund um Mikhail Bakunin und marxistischen Strömungen um Marx und Engels, die schließlich auch zum Niedergang und zur Auflösung der Assoziation im Jahre 1876 führten.

Aber bereits 1889 gründeten Vertreter mehrerer sozialistischer Parteien in Europa auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris eine Zweite Internationale, innerhalb derer die deutsche Sozialdemokratie oftmals als Modell einer erfolgreichen sozialistischen Partei angesehen wurde und entsprechend hochangesehen war, auch wenn es gewichtige kritische Stimmen gab, etwa die des französischen Sozialisten Jean Jaurès, der beklagte, dass die deutschen Sozialdemokraten einen Organisationsfetischismus betrieben, der ihre de facto Machtlosigkeit im deutschen Kaiserreich  kaschieren sollte.

Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs überlebte die Internationale nicht. Lenin nutzte die Spaltung der Arbeiterbewegung im Krieg geschickt, um nach der erfolgreichen bolschewistischen Revolution in Russland 1917 die Gründung von Kommunistischen Parteien in Europa zu befördern und selbige unter Führung der Bolschewiki zu einer Kommunistischen Internationalen (Komintern) zusammenzuführen, die zwischen 1919 und 1943 bestand und von 1947 bis 1957 als Kommunistisches Informationsbüro (Kominform) weiterexistierte.

Durch Ersten Weltkrieg verfeindete Sozialist*innen wieder vereinen

1938 wurde die trotzkistische Vierte Internationale in Paris gegründet, aber sie konnte immer nur kleine Gruppierungen vereinen, die international ohne Einfluss blieben. Die Gründung der SAI 1923 entsprang dem expliziten Bemühen sozialdemokratischer Parteien, dem kommunistischen Internationalismus etwas Eigenes entgegenzusetzen. Die Spaltung der sozialdemokratischen Parteien im Krieg hatte auch zu zwei Internationalen geführt, in denen deutsche Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie und der Unabhängigen Sozialdemokratie wichtige Funktionen ausübten.

So war es auch kein Zufall, dass der Gründungskongress der SAI, der beide Internationalen zusammenführte, in Hamburg stattfand, nachdem sich MSPD und USPD am 24. September 1922 wieder zu einer Partei vereinigt hatten. Auf dem internationalen Parkett waren es vor allem Vertreter der britischen Labour Party, die sich erfolgreich um einen Ausgleich zwischen den verfeindeten französischen und belgischen Sozialisten auf der einen Seite und den deutschen auf der anderen Seite bemühten.

Es war nicht leicht, Vertreter dieser Parteien, die im Weltkrieg noch feindselig gegeneinander gestanden hatten, wieder um einen Tisch zu vereinen, aber es gelang der SAI doch in der Zwischenkriegszeit rund um die Themen Abrüstung, politische Gefangene und Weltwirtschaft Vorschläge zu erarbeiten, die zum Teil ihrer Zeit weit voraus waren.

Suche nach Drittem Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus

Der Zweite Weltkrieg beendete den sozialistischen Internationalismus erneut, aber er erstand ein zweites Mal auf – wiederum in Deutschland, diesmal 1951 in Frankfurt am Main. Die Sozialistische Internationale wurde im Kalten Krieg zu einer bedeutsamen Institution, die oftmals versuchte, Impulse für einen Dritten Weg zwischen osteuropäischem diktatorischem Parteikommunismus und liberalkapitalistischer Wirtschaftsordnung amerikanischer Provenienz zu geben.

Dabei war, zumindest in den Anfangsjahrzehnten der Sozialistischen Internationale (SI) ein antitotalitärer Grundkonsens vorhanden, der sich seit den 1980er Jahren zunehmend aufzulösen begann. Auch in den Dekolonisierungsdebatten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhob die SI oftmals das Wort. Seit den 1970er Jahren war sie zudem ein wichtiges Diskussionsforum für den Nord-Süd-Dialog zwischen globalem industriellem Norden (der ‚ersten Welt‘) und globalem unterentwickelten Süden (der ‚dritten Welt‘).

Zu Beginn der 2010er Jahre kam es zu einem ersthaften Konflikt innerhalb der SI um die Frage der Mitgliedschaft von nicht-demokratischen Parteien. Trotz einiger Ausschlüsse zogen sich wichtige europäische Parteien aus der SI zurück und gründeten 2013, wiederum in Deutschland, in Leipzig, die Progressive Alliance (PA), was zu einer weiteren Spaltung des sozialistischen Internationalismus führte.

Sozial gerechte Welt nur im internationalen Verbund möglich

Trotz aller Spaltungen und aller Uneinigkeit, die die Geschichte des sozialistischen Internationalismus bis heute begleiten, spiegelt sich in ihm die Überzeugung von Sozialist*innen aus der ganzen Welt, dass eine sozial gerechtere Welt nur im internationalen Verbund zu realisieren ist. Dieses Ansinnen, immer wieder auch gerade von der deutschen Sozialdemokratie vorangetrieben, rieb sich allerdings ebenfalls seit dem 19. Jahrhundert bis heute an der nationalstaatlichen Orientierung aller sozialistischer Parteien, die vor allem im Rahmen des Nationalstaates einige ihrer größten Erfolge feiern konnten, etwa beim Ausbau des Sozialstaats.

Besonders im Ersten Weltkrieg zeigte sich, dass eine solche Nationalisierung der Arbeiterbewegung auch zu Nationalismus führen konnte. So blieb die Grundspannung zwischen nationaler Orientierung und internationalistischer Ausrichtung bis heute ein Grundcharakteristikum des sozialistischen Internationalismus. Will man von ihm nicht lassen, so bleibt es eine wichtige Aufgabe, globale und nationale Problemlagen zusammen zu denken, interkulturelle Kompetenzen zu fördern, den lange Zeit vorherrschenden Eurozentrismus endgültig zu überwinden und den politischen Streit um den richtigen Weg zu einem transnational gedachten Sozialismus produktiv zu machen. Daran erinnert uns die Gründung der SAI vor 100 Jahren.

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Stefan Berger

ist Professor für Sozialgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum, wo er das Institut für soziale Bewegungen leitet. Er ist Mitglied der SPD und des Geschichtsforums.

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