Tagebuch eines jungen Delegierten: Abschied und Zustimmung fallen schwer (14.11.2005)
Abschied von Gerhard Schröder
Der Abschied von Gerhard Schröder und die Debatte über das Eintreten in eine
Große Koalition dominierten den ersten Tag des Karlsruher Bundesparteitags.
Mit minutenlangem Applaus würdigten die Delegierten den scheidenden
Regierungschef und dankten ihm in einem emotionalen Abschied für die Arbeit
der vergangenen sieben Jahre. Die rot-grüne Bundesregierung hat unter
Gerhard Schröder viel erreicht. Mit einer selbstbewussten Außenpolitik hat sich
das sozialdemokratisch geführte Kabinett für Frieden und eine starke
Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt. Innerhalb Deutschlands wurde die
Reform der sozialen Sicherungssysteme begonnen, um den neuen
Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft gerecht zu werden. Auch wenn
den kurzfristigen Anpassungsmaßnahmen jedoch oft eine langfristige
sozialdemokratische Perspektive fehlte, wurde das öffentliche Bewusstsein für
die Notwendigkeit des Sozialstaatsumbaus sensibilisiert.
Zustimmung zum Koalitionsvertrag
Die Annahme des Koalitionsvertrags ist vielen Delegierten schwer gefallen, so
auch mir. Die Zustimmung zu einer Regierungsbildung mit der Union im Bund
beinhaltet Chancen, aber auch Herausforderungen und Risiken. Jedoch ist
diese angesichts des Wahlergebnisses alternativlos. Zentrales Ziel der nächsten
Bundesregierung ist die Wiederherstellung der strukturellen Handlungsfähigkeit
des Staates. Die Vereinbarungen über die Reform des Föderalismus sowie die
Konsolidierung der Staatsfinanzen trägt dazu bei. Deshalb habe ich dem
Koalitionsvertrag zugestimmt. Jedoch ist auch Kritik an den Vereinbarungen zu
üben. Die Übertragung weitgehender Kompetenzen im Bereich der
Bildungspolitik an die Bundesländer ist angesichts der Bedeutung dieses
Politikfelds schmerzlich. Auch die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um drei
Prozent ist aufgrund der "Merkelsteuerkampagne" im Wahlkampf den
Genossinnen und Genossen in den Ortsvereinen sowie den Bürgern nur schwer
vermittelbar.
Entscheidend ist nun, wie die schriftliche Regierungsgrundlage mit konkreter
Politik gefüllt wird. Hier sind die sozialdemokratischen Minister im Kabinett, aber
auch die Partei in der Verantwortung. Für uns alle gilt es nun, eine breite
öffentliche Unterstützung für sozialdemokratische Themen wie die
Bürgerversicherung oder den Mindestlohn zu organisieren.