SPD lehnt Zusammenarbeit mit Kommunisten ab
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Es ist laut im Saal, die Stimmung erregt. Der Genosse Norbert Gansel meldet sich zu Wort. Doch den Juso-Vize will hier in München keiner hören. Es dauert eine Weile, bis sich die rund 80 Teilnehmer der gemeinsamen Sitzung von Parteirat, Kontrollkommission und SPD-Parteivorstand wieder etwas beruhigen. Schließlich darf -Gansel seine Kritik an der zur Debatte stehenden Beschlussvorlage äußern. Die Einwände des Jungsozialisten finden jedoch so gut wie keine Unter-stützer. Mit großer Mehrheit verabschiedet die Versammlung, die Willy Brandt am Samstag, dem 14. November 1970 eröffnet hatte, den sogenannten Ab-grenzungsbeschluss, der Aktionsgemeinschaften zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten untersagt.
Konkret fordert der Parteirat alle Organisationsgliederungen der SPD auf, ihre Mitglieder mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass es parteischädigend sei, wenn sie „zusammen mit Mitgliedern der DKP, SEW, SDAJ und der FDJ (Berlin) gemeinsame Veranstaltungen durchführen, gemeinsame Publikationen herausgeben, gemeinsame Aufrufe, Flugblätter, Einladungen usw. unterzeichnen“ und an von DKP und SDAJ gesteuerten Publikationen mitarbeiten. Notfalls solle ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet werden.
Linksruck in der SPD
Zwar hatte sich die SPD 1959 mit dem Godesberger Programm eindeutig vom Kommunismus distanziert, doch inzwischen hat sich vieles geändert. Studentenrevolte und Außerparlamentarische Opposition (APO) hinterlassenen auch in der SPD ihre Spuren. Denn viele junge, linke Intellektuelle drängen in die SPD, in der Hoffnung dort etwas zu bewirken.
Hinzu kommt die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition, die von Willy Brandt und Egon Bahr vorangetrieben wird. Sie setzt auf Verständigung mit den kommunistischen Staaten Osteuropas. Der Moskauer Vertrag wird am 12. August 1970 unterzeichnet, und Bundeskanzler Brandt schreibt durch sein Treffen mit DDR-Ministerpräsident Willi Stoph am 19. März 1970 in Erfurt innerdeutsche Geschichte.
Innerparteilich bereitet jedoch die Zusammenarbeit von Parteimitgliedern mit kommunistischen Organisationen Sorgen. Zudem nutzt die CDU/CSU-Opposition die Gelegenheit, um das Ende der bürgerlichen, demokratischen Welt an die Wand zu malen.
In der aufgeheizten Stimmung sieht sich die Parteispitzte zum Handeln gezwungen. Sie gibt bei Professor Richard Löwenthal ein Papier zum Thema „Sozialdemokratie und Kommunismus“ in Auftrag, das zur Grundlage des Parteiratsbeschlusses wird. Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewski macht in einem Rundschreiben klar, dass die SPD gegenüber den eigenen Mitgliedern und der Öffentlichkeit ein deutliches Zeichen setzen müsse, dass die Bereitschaft, Verträge mit kommunistischen Ländern zu schließen, nicht bedeute, dass die Partei ihre grundsätzliche Einstellung zur Ideologie und Herrschaftspraxis der Kommunisten aufgebe oder ändern werde.
Wehrhafte Demokratie
Die folgende innerparteiliche Auseinandersetzung wird von der Parteispitze forciert. Insgesamt können die Parteilinke und die Jusos langfristig stärker in die SPD integriert werden. Eine Folge des Abgrenzungsbeschlusses ist der Bruch der SPD mit dem Sozialistischen Hochschulbund, der an vielen Universitäten mit dem Marxistischen Studentenbund Spartakus zusammenarbeitet.
In der Öffentlichkeit hinterlässt die Partei jedoch den Eindruck, dass sich die intellektuelle Jugend ständig mit der pragmatischen Regierungsmannschaft streitet. Eine weitere Folge des Abgrenzungsbeschluss ist letztlich der Radikalenerlass, der 1972 von der sozial-liberalen Regierung beschlossen wird. Im Zeichen der „wehrhaften Demokratie“ soll er dafür sorgen, dass Extremisten von der Beamtenlaufbahn ausgeschlossen wurden.