Geschichte

SPD-Bundesparteitag: Anwalt der Gerechtigkeit

von Die Redaktion · 14. November 2005
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Eine Partei ist kein Perpetuum mobile. Sie braucht ständig neue

Energiezufuhr. Nur wenn sie angekoppelt ist an gesellschaftliche Kraftströme,

kann sie erfolgreich sein. Parteien bündeln gesellschaftliche Interessen und

ziehen daraus ihre Kraft. Kein noch so brillantes Theoriegebäude, keine noch so

notwendige Problemlösungstechnik kann dies ersetzen.

Die Bundestagswahl zeigt einen gesellschaftlichen Trend. Es gibt keine

Mehrheit in Deutschland für einen Kurs, der das bisherige Sozialstaatsmodell in

wesentlichen Fragen zur Disposition stellt.

Ich sehe das Wahlergebnis als Votum für einen starken und gerecht

organisierten Sozialstaat.

Obwohl die Unzufriedenheit mit der rot-grünen Bundesregierung sehr hoch war,

hat die Opposition aus Union und FDP bei der Bundestagswahl nicht punkten

können.

Angesichts des wachsenden Wettbewerbsdrucks durch die Globalisierung festigt

sich eine strukturelle Mehrheit links von Union und FDP. Das gilt in noch

stärkerem Maße in Ostdeutschland, wo SPD, PDS und Grüne zusammen auf

rund 60 Prozent der Stimmen kommen.

Diese strukturelle Mehrheit für einen funktionierenden Sozialstaat müssen wir in

der Regierungskoalition vertreten. Oder mit anderen Worten: Dieser

gesellschaftliche Kraftstrom ist unsere politische Energiequelle.

Wenn wir diese Aufgabe allerdings nur als Verteidigung des Bestehenden

betrachten, werden wir sehr schnell in die Defensive gelangen. Wir brauchen

eine Offensivstrategie.

Wir müssen deshalb Projekte entwickeln, die einerseits an den Lebenswelten

der Menschen ansetzen und die vorherrschende Gerechtigkeitsvorstellung

aufgreifen und andererseits mit den durch die Globalisierung notwendigen

Veränderungen in Einklang bringen.

Drei Ansatzpunkte ergeben sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre:

Erstens: Wir müssen die SPD als "Sozialstaatspartei" profilieren. Wir brauchen

eine ehrliche Vorstellung davon, was der Sozialstaat leisten kann und was er

leisten muss. Das gilt für die Absicherung des Alters genauso wie für Krankheit,

Pflege oder Arbeitslosigkeit. Und das gilt insbesondere für die Unterstützung der

Familien.Bei der Beschreibung tragfähiger Antworten müssen wir als

Sozialdemokraten immer deutlich erkennbar sein - als Anwälte der in dieser

Gesellschaft überwiegenden Gerechtigkeitsvorstellung. Nicht die

ordnungspolitische Perfektion einer Antwort garantiert den Erfolg der Lösung,

sondern die gesellschaftliche Akzeptanz. Letztere muss nicht in jedem Fall von

vornherein gegeben sein, sie muss aber herstellbar sein.

Zweitens: Wir müssen die SPD als Bildungspartei profilieren. Und wir müssen

dabei Bildung vor allem als neue soziale Frage anpacken.In einer Gesellschaft,

die immer höherem Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist, reicht sozialer Ausgleich

über staatliche Umverteilung nicht aus. Über das Bildungssystem müssen

Aufstiegschancen eröffnet werden. Dazu muss das System in der Lage sein,

durch Herkunft bedingte Nachteile über den Bildungsweg auszugleichen.

Zugleich entscheidet die Qualität unserer Kindergärten und Schulen bis hin zu

den hohen und höchsten Schulen ganz wesentlich über die Innovationsfähigkeit

- und damit über die Wirtschaftskraft unseres Landes. Auch dies ist eine

elementare Voraussetzung für einen starken Sozialstaat.

Drittens: Wir müssen die SPD als Kommunalpartei profilieren. Soziale

Erfahrungen machen wir zuerst in Dörfern und Städten, im unmittelbaren

Lebensumfeld. Wer hier politisch präsent ist, wer sich um die Alltagsprobleme

kümmert, wird am ehesten in der Lage sein, politisches Vertrauen aufzubauen.

Gleichzeitig ist die Kommune auch der Ort, an dem Menschen am

unmittelbarsten politisch wirksam werden und soziales Engagement zeigen

können. Nachwuchs für die Parteien wird vor allem hier zu gewinnen sein. Je

besser es uns gelingt, die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu stärken, um so

eher wird es möglich sein, zu politischem Engagement zu ermutigen und neue

Mitstreiter für die SPD zu gewinnen.

Außerdem müssen wir eine Reihe organisatorischer Fragen klären. Das fängt

bei der Zusammenarbeit mit wichtigen Interessengruppen an.Das betrifft aber

auch den Umgang mit unseren Mitgliedern. Insbesondere die in den letzten

Jahren neu zur SPD gekommenen Mitglieder erwarten, dass sie rasch und

unkompliziert in die politische Arbeit eingebunden werden. Sie wollen in aller

Regel nicht "nur" Mitglied sein, sondern konkret etwas tun. Das gilt im Übrigen

auch für viele langjährige Mitglieder.

Trotz der wieder steigenden Zahl an Partei-Eintritten wird aber die Zahl der

Mitglieder insgesamt weiter sinken. Das hat Konsequenzen für die finanzielle

Handlungsfähigkeit der SPD. Wenn wir nicht einfach die Strukturen Jahr für Jahr

weiter zusammenstreichen wollen, müssen wir neue Wege bei der Finanzierung

und der Organisation der Parteiarbeit gehen.

Netzwerk Berlin

Jenseits der traditionellen Rechts-Links-Strukturen möchte das "Netzwerk

Berlin" Politik für die Zukunft machen - auf Grundlage der sozialdemokratischen

Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Gegründet wurde die Initiative 1999

von zumeist jüngeren SPD-Abgeordneten, die damals das erste Mal in den

Bundestag einzogen. Heute gehören ihm ungefähr 40 Abgeordnete an. Zum

weiteren Kreis zählen Interessierte aus Medien, Politik und Wissenschaft. Das

Netzwerk versteht sich als ein offener, politischer und parlamentarischer

"Kommunikationszusammenhang". Zur programmatischen Ausrichtung gehört,

dass das Netzwerk ohne Satzung, Geschäftsordnung oder Vorstand auskommt.

Die Initiative will Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft, wie die älter

werdende Gesellschaft oder die damit in Verbindung stehende Reform der

sozialen Sicherungssysteme, finden. In offenen Diskussions- und

Kulturveranstaltungen werden diese Themen regelmäßig erörtert und im Internet

oder in der Zeitschrift "Berliner Republik" publiziert. Zum Sprecherkreis des

Netzwerks gehören unter anderem der designierte SPD-Generalsekretär

Hubertus Heil und die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag

Kerstin Griese.

www.netzwerkberlin.de

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