Eine Partei ist kein Perpetuum mobile. Sie braucht ständig neue
Energiezufuhr. Nur wenn sie angekoppelt ist an gesellschaftliche Kraftströme,
kann sie erfolgreich sein. Parteien bündeln gesellschaftliche Interessen und
ziehen daraus ihre Kraft. Kein noch so brillantes Theoriegebäude, keine noch so
notwendige Problemlösungstechnik kann dies ersetzen.
Die Bundestagswahl zeigt einen gesellschaftlichen Trend. Es gibt keine
Mehrheit in Deutschland für einen Kurs, der das bisherige Sozialstaatsmodell in
wesentlichen Fragen zur Disposition stellt.
Ich sehe das Wahlergebnis als Votum für einen starken und gerecht
organisierten Sozialstaat.
Obwohl die Unzufriedenheit mit der rot-grünen Bundesregierung sehr hoch war,
hat die Opposition aus Union und FDP bei der Bundestagswahl nicht punkten
können.
Angesichts des wachsenden Wettbewerbsdrucks durch die Globalisierung festigt
sich eine strukturelle Mehrheit links von Union und FDP. Das gilt in noch
stärkerem Maße in Ostdeutschland, wo SPD, PDS und Grüne zusammen auf
rund 60 Prozent der Stimmen kommen.
Diese strukturelle Mehrheit für einen funktionierenden Sozialstaat müssen wir in
der Regierungskoalition vertreten. Oder mit anderen Worten: Dieser
gesellschaftliche Kraftstrom ist unsere politische Energiequelle.
Wenn wir diese Aufgabe allerdings nur als Verteidigung des Bestehenden
betrachten, werden wir sehr schnell in die Defensive gelangen. Wir brauchen
eine Offensivstrategie.
Wir müssen deshalb Projekte entwickeln, die einerseits an den Lebenswelten
der Menschen ansetzen und die vorherrschende Gerechtigkeitsvorstellung
aufgreifen und andererseits mit den durch die Globalisierung notwendigen
Veränderungen in Einklang bringen.
Drei Ansatzpunkte ergeben sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre:
Erstens: Wir müssen die SPD als "Sozialstaatspartei" profilieren. Wir brauchen
eine ehrliche Vorstellung davon, was der Sozialstaat leisten kann und was er
leisten muss. Das gilt für die Absicherung des Alters genauso wie für Krankheit,
Pflege oder Arbeitslosigkeit. Und das gilt insbesondere für die Unterstützung der
Familien.Bei der Beschreibung tragfähiger Antworten müssen wir als
Sozialdemokraten immer deutlich erkennbar sein - als Anwälte der in dieser
Gesellschaft überwiegenden Gerechtigkeitsvorstellung. Nicht die
ordnungspolitische Perfektion einer Antwort garantiert den Erfolg der Lösung,
sondern die gesellschaftliche Akzeptanz. Letztere muss nicht in jedem Fall von
vornherein gegeben sein, sie muss aber herstellbar sein.
Zweitens: Wir müssen die SPD als Bildungspartei profilieren. Und wir müssen
dabei Bildung vor allem als neue soziale Frage anpacken.In einer Gesellschaft,
die immer höherem Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist, reicht sozialer Ausgleich
über staatliche Umverteilung nicht aus. Über das Bildungssystem müssen
Aufstiegschancen eröffnet werden. Dazu muss das System in der Lage sein,
durch Herkunft bedingte Nachteile über den Bildungsweg auszugleichen.
Zugleich entscheidet die Qualität unserer Kindergärten und Schulen bis hin zu
den hohen und höchsten Schulen ganz wesentlich über die Innovationsfähigkeit
- und damit über die Wirtschaftskraft unseres Landes. Auch dies ist eine
elementare Voraussetzung für einen starken Sozialstaat.
Drittens: Wir müssen die SPD als Kommunalpartei profilieren. Soziale
Erfahrungen machen wir zuerst in Dörfern und Städten, im unmittelbaren
Lebensumfeld. Wer hier politisch präsent ist, wer sich um die Alltagsprobleme
kümmert, wird am ehesten in der Lage sein, politisches Vertrauen aufzubauen.
Gleichzeitig ist die Kommune auch der Ort, an dem Menschen am
unmittelbarsten politisch wirksam werden und soziales Engagement zeigen
können. Nachwuchs für die Parteien wird vor allem hier zu gewinnen sein. Je
besser es uns gelingt, die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu stärken, um so
eher wird es möglich sein, zu politischem Engagement zu ermutigen und neue
Mitstreiter für die SPD zu gewinnen.
Außerdem müssen wir eine Reihe organisatorischer Fragen klären. Das fängt
bei der Zusammenarbeit mit wichtigen Interessengruppen an.Das betrifft aber
auch den Umgang mit unseren Mitgliedern. Insbesondere die in den letzten
Jahren neu zur SPD gekommenen Mitglieder erwarten, dass sie rasch und
unkompliziert in die politische Arbeit eingebunden werden. Sie wollen in aller
Regel nicht "nur" Mitglied sein, sondern konkret etwas tun. Das gilt im Übrigen
auch für viele langjährige Mitglieder.
Trotz der wieder steigenden Zahl an Partei-Eintritten wird aber die Zahl der
Mitglieder insgesamt weiter sinken. Das hat Konsequenzen für die finanzielle
Handlungsfähigkeit der SPD. Wenn wir nicht einfach die Strukturen Jahr für Jahr
weiter zusammenstreichen wollen, müssen wir neue Wege bei der Finanzierung
und der Organisation der Parteiarbeit gehen.
Netzwerk Berlin
Jenseits der traditionellen Rechts-Links-Strukturen möchte das "Netzwerk
Berlin" Politik für die Zukunft machen - auf Grundlage der sozialdemokratischen
Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Gegründet wurde die Initiative 1999
von zumeist jüngeren SPD-Abgeordneten, die damals das erste Mal in den
Bundestag einzogen. Heute gehören ihm ungefähr 40 Abgeordnete an. Zum
weiteren Kreis zählen Interessierte aus Medien, Politik und Wissenschaft. Das
Netzwerk versteht sich als ein offener, politischer und parlamentarischer
"Kommunikationszusammenhang". Zur programmatischen Ausrichtung gehört,
dass das Netzwerk ohne Satzung, Geschäftsordnung oder Vorstand auskommt.
Die Initiative will Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft, wie die älter
werdende Gesellschaft oder die damit in Verbindung stehende Reform der
sozialen Sicherungssysteme, finden. In offenen Diskussions- und
Kulturveranstaltungen werden diese Themen regelmäßig erörtert und im Internet
oder in der Zeitschrift "Berliner Republik" publiziert. Zum Sprecherkreis des
Netzwerks gehören unter anderem der designierte SPD-Generalsekretär
Hubertus Heil und die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag
Kerstin Griese.
www.netzwerkberlin.de
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