Geschichte

Scheidungsrecht: Als die Schuldfrage Geschichte wurde

11. Dezember 1975: Der Bundestag in Bonn beschließt ein neues Scheidungsrecht, das Frauen nach Ende der Ehe Unterhalt sichert. Ein historischer Schritt zur Gleichberechtigung der Frau. Maßgeblich durchgesetzt haben ihn Sozialdemokratinnen.
von Thomas Horsmann · 9. Dezember 2015
Deutscher Bundestag 1975: Das Parlament beschließt ein neues Scheidungsrecht
Deutscher Bundestag 1975: Das Parlament beschließt ein neues Scheidungsrecht

In Bonn versammelt sich am Donnerstag, dem 11. Dezember 1975 der Deutsche Bundestag zur 209. Sitzung. Die Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts steht auf der Tagesordnung. Für Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen ist dies ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nach einer leidenschaftlichen Debatte, in der noch einmal alle Für und Wider der Reform dargelegt werden, kommt es zur namentlichen Abstimmung. Mit der Mehrheit der SPD-FDP-Koalition nimmt der Bundestag das Gesetz an, die CDU-CSU-Fraktion stimmt dagegen.

Damit erfüllte die Sozialdemokratie eine bereits in der Weimarer Republik gestellte Forderung. Damals, so die SPD-Abgeordnete Renate Lepsius in ihrem Debattenbeitrag, seien bereits die Einführung des Zerrüttungsprinzips, ein sozial ausgewogenes Unterhaltsrecht und eine gerechtere soziale Alterssicherung der Frau gefordert worden. „Als Sozialdemokratin erfüllt es mich mit Stolz, dass diese sozialliberale Koalition nach 50 Jahren Überlegungen realisiert, die von der Koalition von Sozialdemokraten, von Deutschen Demokraten und auch vom damaligen Gesamtverband der Frauenverbände in der Weimarer Republik angestellt wurden.“

Gleichberechtigung in der Ehe

Im Nachkriegsdeutschland spielte eine Reform des Ehe- und Familienrechts zunächst keine Rolle. Erst in den 1960er Jahren wurde wieder über ein modernes Scheidungsrecht diskutiert. Unter Bundeskanzler Willy Brandt brachte die sozialliberale Koalition 1973 eine entsprechende Regierungsvorlage ein, die kontrovers diskutiert wurde. Im Kern ging es der SPD um zwei Bestimmungen im Grundgesetz: „Männer und ­Frauen sind gleichberechtigt“ und „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“.

Doch von Gleichberechtigung oder einer partnerschaftlichen Ehe war damals keine Spur. Das geltende Recht verpflichtete nämlich die Frau zur Haushaltsführung und den Mann zur Erwerbstätigkeit. Konkret bedeutete dies, dass eine Ehefrau nur mit Genehmigung ihres Mannes arbeiten durfte. Durch die Reform wurden nun Mann und Frau gleichermaßen zur Haushaltsführung verpflichtet und zur Erwerbstätigkeit berechtigt.

Eine weitere weitreichende Änderung betraf das Scheidungsrecht. Das bis dahin geltende Verschuldungsprinzip wurde durch das heute geltende Zerrüttungsprinzip ersetzt. Beim Verschuldungsprinzip musste ein Ehepartner beweisen, dass der andere eine schwere Eheverfehlung begangen und damit die Ehe zerrüttet habe. Meist war die Eheverfehlung aber die Folge der Zerrüttung, was sich aber nicht beweisen ließ. Die Gerichte hielten sich deshalb an die nachweisbaren Verfehlungen.

Das neue Zerrüttungsprinzip

Der Schuldspruch im Verfahren hatte für eine Frau meist schwerwiegendere Folgen als für den Mann. Ihr wurde die finanzielle Lebensgrundlage entzogen, dem Mann nicht. Schon aus finanziellen Gründen konnten sich deshalb viele Frauen keine Scheidung leisten.
Das Zerrüttungsprinzip stellte das Scheidungsreicht auf eine objektive Grundlage, die den neu eingeführten Familienrichtern klare Entscheidungen ermöglichte. Die Ehe wird nun geschieden, wenn die eheliche Gemeinschaft objektiv zerbrochen ist und ihre Wiederherstellung nicht erwartet werden kann. Eine einseitige Lösung der Ehe ist nun ebenfalls möglich, eine Zustimmung des Ehepartners ist nicht mehr nötig. Der neue Versorgungsausgleich und der Unterhaltsanspruch stellten sicher, dass die Frauen gerecht versorgt werden. Scheidungen sind nicht mehr an finanzielle Bedingungen geknüpft.   

Bis zum Inkrafttreten der Reform sollte es noch anderthalb Jahre dauern. Denn der Bundesrat rief mit Unionsmehrheit den Vermittlungsausschuss an. Mit kleinen Änderungen trat das Gesetz am 1. Juli 1977 in Kraft, die Schuldfrage in der Ehe ist seither Geschichte.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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