Schau zum deutsch-russischen Verhältnis: Beziehungsstatus ungeklärt
Irgendwie hat man sich zusammengerauft. Die Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland verlief seit 1945 vielleicht nicht schnurgerade, aber war doch ein Weg „von der Konfrontation zur Zusammenarbeit“. So lautet daher auch der Titel einer Ausstellung zum deutsch-russischen Verhältnis der vergangenen 70 Jahre, die seit dem 29. Oktober und noch bis 13. Dezember in Berlin zu sehen ist. Sie könnte aber auch als Motto für das etwas holprige Zustandekommen der Ausstellung selbst dienen, die zeigt, wie sehr Geschichtsschreibung den Stimmungen der Gegenwart unterliegt. Doch der Reihe nach.
Der Rahmen ist exklusiv. Der Martin-Gropius-Bau ist ein Ort für hochkarätige Ausstellungen. Das verleiht der Archivschau eine Wichtigkeit, die sie im etwas abseits gelegenen Deutsch-Russischen Museum Karlshorst, das sie mit dem russischen Staatsarchiv konzipiert hat, nicht erreicht hätte. Die deutsch-russischen Beziehungen sind so gewissermaßen ins Zentrum der Hauptstadt gerückt.
Heinrich Böll neben Helene Fischer
Mit neun historischen Wegmarken wird die besondere Beziehung der beiden Länder im Annäherungsprozess nach 1945 nachgezeichnet: von der „Kapitulation der Wehrmacht“ über den Mauerbau, von der KSZE-Schlussakte 1975 bis hin zur Gedenkstunde im Bundestag 2014 für die Opfer der Leningrad-Blockade. An den Wänden ist neben den Schriftstellern Heinrich Böll und Lew Kopelew auch der in Russland zur Welt gekommene Schlagerstar Helene Fischer zu sehen. So soll anhand von Ereignissen und Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur ein Panorama der Beziehungen entstehen.
„Wir machen das mit historischen Dokumenten“, sagt Kuratorin Julia Franke. „Das klingt vielleicht erst mal spröde.“ Die Dokumente aber werden optisch sehr ansprechend präsentiert. Es sind nicht zu viele, so dass die Aufmerksamkeit erhalten bleibt. Manches jedoch kommt auch zu kurz: Der DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953, niedergeschlagen von sowjetischen Einheiten, beispielsweise wird nüchtern abgehandelt und ist offenbar nicht bedeutend genug, eine der neun Wegmarken darzustellen. Der Abschluss eines Erdgas-Röhren-Geschäft zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik hingegen schon. „Das ist der kleinste gemeinsame Nenner“, urteilte so auch einer der Besucher treffend.
Schatten auf der Schau
Es habe definitiv Kompromisse gegeben, räumt Julia Franke ein. Teil des Ausstellungskonzepts nämlich ist eine weitere Ausstellung, die am 10. November in Moskau eröffnet wurde. Und nicht in allem schienen sich die Kuratoren einig gewesen zu sein. „Unterschiedliche Staaten haben unterschiedliche Narrative“, sagt Franke. Die wenigsten Texte der beiden Ausstellungen seien daher identisch: „Wir haben um einiges lange gerungen“, so die Kuratorin. Die Auswahl des Ukraine-Konflikts als aktuelle Wegmarke etwa sei für die russischen Kollegen inakzeptabel gewesen – und so endet die deutsch-russische Geschichte hier im Jahr 2014.
Dieses unstimmige Ende wirft nun seinen Schatten auf die Schau. Der Weg von der Konfrontation zur Zusammenarbeit jedenfalls scheint nicht als so unumkehrbar, wie es der Titel suggeriert. Die Ausstellung selbst ist in Teilen ein Kompromiss. Den Eindruck, hier sei Geschichte vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse weichgespült geworden, will man auffangen: In begleitenden Diskussionsveranstaltungen, ebenfalls im Gropius-Bau, soll auch aktuellen Konfliktpunkten mehr Raum gegeben werden, verspricht Ulrike Kloß vom Museum Karlshorst. Hier wird auch der Frage nachgegangen, wie belastbar angesichts aktueller Ereignisse die deutsch-russischen Beziehungen sind.
So spiegelt der holprige Weg des Zustandekommens der Schau im Kleinen die wechselhaften Beziehungen zwischen Russland und Deutschland im Großen wider. Zusammenarbeit und Konfrontation schließen einander eben nicht aus. Vor dem Hintergrund der Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs ist das auch nicht weiter verwunderlich.
aus Berlin war bis 2014 zwei Jahre Redakteur in Omsk/Sibirien. Er hat Germanistik, Geschichte, Politik sowie Literaturwissenschaft studiert und arbeitet als freier Journalist, Lektor und in der Politischen Bildung.