Geschichte

Rote Hochburgen

von Die Redaktion · 5. Januar 2006
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Drei Tage bevor in Leipzig der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet wurde, war Ferdinand Lassalle in Mainz und warb im Frankfurter Hof vor mehreren hundert Arbeitern für sein Vorhaben. Mit Erfolg: Die in Mainz bereits gut organisierte Arbeiterschaft stimmte Lassalles Gründungsresolution zu und schickte einen Delegierten nach Leipzig. Der Mainzer ADAV konstituierte sich zwar erst ein Jahr später. Dennoch ist der 20. Mai 2003 für die 2200 Mainzer Genossen Anlass genug, ihr 140-jähriges Gründungsjubiläum zu feiern. Natürlich im legendären Frankfurter Hof, mit Kurt Beck als Gastredner, mit Kabarett, Jazz, alten Arbeiterliedern, Diskussionsrunden und einer Mitgliederehrung, erzählt Mitorganisator Kai Hoffmann.

Die Mainzer SPD ist stolz auf ihre Geschichte und kann auch über die Gegenwart nicht klagen. Zwar mussten die Genossen in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt jahrzehntelang gegen eine schwarze Landtagsmehrheit und -regierung arbeiten, aber in Mainz stellen sie seit 1956 den Oberbürgermeister. Die Partei hat vor allem die Sozial-, Wohnungsbau- und Kulturpolitik der Stadt geprägt, erinnert sich Karl Delorme (83), ehemaliger Sozialdezernent und Mainzer SPD-Ehrenvorsitzender. Als Rudolf Scharping 1991 für die SPD auch auf Landesebene die Mehrheit holte, war der Erfolg komplett. Wobei, so Alexandra Gill-Gers (33), die Tatsache, dass die SPD jetzt in Stadt, Land und Bund das Sagen hat, auch manchmal eine Last sein kann. "Wenn Kritik an der Politik kommt, können wir das nicht auf andere schieben", sagt die stellvertretende UB-Vorsitzende.

Um dem Unmut der Genossen Luft zu lassen, gibt es seit einiger Zeit die Veranstaltungsreihe "SPD intern", die kommunale, landes- und bundespolitische Themen aufgreift. Alle sechs Wochen bekommen die Mitglieder Argumente für sozialdemokratische Politik an die Hand und Raum für Kritik. Im Mai 2004 stehen Kommunalwahlen an. Und da will die SPD stärkste Fraktion im Rat werden. "Wir schaffen das", ist Gill-Gers überzeugt. Die Mainzer SPD sei prominent bestückt - mit Malu Dreyer und Doris Ahnen sitzen zwei Landesministerinnen im UB-Vorstand -, außerdem habe sich die Partei in den vergangenen Jahren stark verjüngt.

In Mainz und Berlin wird groß gefeiert

Auch in Leipzig wird im nächsten Jahr gewählt. Doch von einem Fest wie in Mainz können die Genossen aus dem Osten nur träumen. Die finanziellen Ressourcen des größten Unterbezirks im an SPD-Mitgliedern armen Sachsen sind knapp. Gerade einmal 5000 Mitglieder gibt es in dem Bundesland, ein Fünftel davon kommen aus dem UB Leipzig-Borna, also aus Leipzig und dem Leipziger Land. Die Parteiaustritte der letzten Monate aus Protest gegen die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikpläne der Bundesregierung machen die Situation nicht leichter. Trotzdem ist Leipzigs UB-Vorsitzender Gunter Weißgerber stolz darauf, "wie viel Leben in der Bude ist" im Vergleich zu anderen ostdeutschen Regionen. Besonders die Jusos, im Bundestagswahlkampf 2002 als bestes junges Wahlkampfteam ausgezeichnet, seien sehr aktiv. Umso mehr bedauert der Bundestagsabgeordnete, dass der SPD-Parteivorstand den 23. Mai groß in Berlin feiern wird. Dabei wäre Leipzig, die Wiege der deutschen Sozialdemokratie, wichtiger Ort des Widerstands gegen das NS-Regime und "die Bastion gegen die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED in der Sowjetischen Besatzungszone", so der Leipziger Historiker Michael Rudloff, der ideale Ort dafür.

Die Leipziger freuen sich über Olympia

Auch heute, nach zwölf Jahren NS-Diktatur und 40 Jahren DDR, hat die Partei trotz geringer Mitgliederzahl einen guten Stand in der Messestadt und ihrem Umland. 2001 gelang es erstmals, mit Petra Köpping den Kreis Leipziger Land zu gewinnen - das erste SPD-Landratsamt im schwarz regierten Sachsen.

Leipzig selbst wird seit der Wende rot regiert - zuerst von Hinrich Lehmann-Grube, dem Hannoveraner, der 1990 zum Oberbürgermeister gewählt wurde und dafür noch die DDR-Staatsbürgerschaft annehmen musste, und seit 1998 von Wolfgang Tiefensee. Der machte im letzten Herbst bundesweit Furore, als er Gerhard Schöders Angebot ausschlug, Bundesverkehrsminister zu werden. "Eine gute Entscheidung für Leipzig und die Region und natürlich auch für Olympia", sagt Gunter Weißgerber. Vielleicht sogar für Sachsen - doch darüber will niemand, auch Weißgerber nicht, spekulieren.

Sicher ist für die Leipziger Genossen nur eines: "Wir werden darauf pochen, dass die 150-Jahr-Feier wieder bei uns stattfindet", sagt Weißgerber. Und droht, in Erinnerung an die Montagsdemonstrationen des Herbstes 1989, wo er oft für die SPD-Vorläuferin SDP das Wort ergriff, scherzhaft: "Zur Not gehen wir dafür auch auf die Straße, im Demonstrieren sind wir Leipziger ja gut."

Von Vera Büttner

Quelle: vorwärts 5/2003

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