"Gesagt hatte ich - rein gar nichts.
Alle Fragen hatte ich von Tisch gewischt.
Von Kritik und Selbstkritik - nicht eine Spur.
Die Zweifel - unter den Teppich gekehrt."
Folgerichtig wurde ich gelobt. Für meine saubere Haltung.
("Wie Säuberung anfängt", Seite 67)
Hans-Dieter Schütt (Jahrgang 1948) deckt in seinem autobiografischen Essay auf, was war und was ist. Schonungslos und rücksichtslos. "Man muss ab einem bestimmten Alter den Mut haben, auch
in die Asche seiner Jahre zu blicken." Dieser Gedanke des DDR-Lyrikers und Tagebucherzählers Hans Cibulka ist sein Credo. Fünf Jahre stand Schütt an der Spitze der einzigen Jugendzeitung der DDR,
der "Jungen Welt". Als deren Chefredakteur gehörte er nach eigener Aussage zu den härtesten und unerbittlichsten Verfechtern staatlicher Agitation und Propaganda. Er war quasi Teil des Systems.
Zu zaghafte Kritik
Hat er seine Ideale verraten, wenn er heute als Feuilletonredakteur beim "Neuen Deutschland" einfach so sein Tagewerk verrichtet, sich nicht nur glücklich beschädigt sieht, sondern die neue
Freiheit sogar genießt? Allein diese Frage zu stellen, muss man ihm zugute halten. Sie zu beantworten, lässt er viele zu Wort kommen. Die unbekannte Frau aus dem Norden, die ihn in vielen
Leserbriefen aufforderte, die Idee des Sozialismus nicht einfach zu begraben, und den großen Künstler Alfred Hrdlicka, dem es nichts ausmacht, sich als Stalinist beschimpfen zu lassen. Aber auch
die Schriftsteller Martin Mosebach, Volker Braun und viele andere. Sie alle stehen für das Für oder das Wider. Eine überaus interessante Mischung. Nur bleibt Schütt dabei mitunter selbst ein
wenig auf der Strecke.
Dennoch, ehrlich ist er: Wenn er die zaghaft-kritischen Artikel in der "Jungen Welt" als zufällig entstanden entlarvt. Wenn er die einzigartige Rolle ihrer Redakteure hervorhebt, die mehr
durften, als andere ihrer Zunft, eben auch einmal über die Strenge schlagen oder zwischen den Zeilen lesen lassen. Als Chefredakteur legte er manchmal doch - wenn auch zaghaft - den Finger in die
Wunde, leistete sich "vielsagend spöttische Blicke", wenn der "oberste Medienbestimmer", "der Mann für Agitation und Propaganda in der SED-Führung" Joachim Herrmann, die Chefs der wichtigsten
aktuell arbeitenden Medien dienstags nach der wöchentlichen Sitzung der Parteispitze zur "Beratung 'seiner' Agitationskommission beim Politbüro" zusammenrief. Aber das rechnet Schütt sich
allenfalls als "Opposition mit der Augenbraue" an. Er weiß, dass er Privilegien besaß. Und er weiß, dass auch er nach der Sitzung wie alle anderen in die Redaktion zurückraste, "um nach Herrmanns
Rezept den agitatorischen Einheitsbrei" zusammenzurühren.
Mit dem "überstürzten Prozess" der Wende hat er Probleme. Wie so viele in Ost und West! "Denn Verständnis zu erhoffen, das wäre als wollte man mitten in jenem Scherbenhaufen Sozialismus,
der unzählige Wunden riss und viele Adern dem Verbluten auslieferte, die einstige Schönheit des Glases feiern. Man müsste verdeutlichen können, dass es doch kluge Leute waren, die zu den
Kommunisten stießen, dass es ein Leistungs- und Berechtigungsgefüge gab, dass dem System der DDR zwar millionenfach zuarbeitete, aber trotzdem ein allgemein menschliches war und das also darauf
hoffen durfte, einen Systemwechsel ohne moralischem Misskredit zu überstehen. Das traf nicht ein..."
Zu gewaltige Worte
Nach der Wende hat er sich in die Niederungen der schönen Künste zurückgezogen. Schreibt Rezensionen, Kunstkritiken und bleibt auch da immer noch "zaghaft" (wie er selbst zugibt), aber
wortgewaltig.
Das prägt auch sein Buch: "Mitunter habe ich noch Sehnsucht nach der geballten Faust, glücklich oder unglücklich beschädigt vom Nachhall der großen Idee. Sie war lang vor mir geboren
worden, im Zorn derer die nichts zu verlieren hatten, als ihre Ketten. Längst geistert dieser Zorn wider die Ungerechtigkeiten der Welt wie eine vergessene Sehnsucht durch die Zeit. Er ist der
verlassene, verstoßene Partner jener Träume, die an dem Schlaf der Welt zu rühren gedachten. Er der aufräumen sollte, trägt den Schmutz der Geschichte im Leumund. Er wurde das sperrige
Erinnerungsstück in den revolutionären Gesinnungen, die belehrt zur Ruhe kamen. Wo er noch auftritt, tritt er als Desperado auf, als Sprengmeister einer verfluchten Zunft, die Flugzeuge in Häuser
lenkt und Bomben in Theater zündet. Er ist der Held der letzen Vorstellungen, er verrät die Hoffnung fortlaufend an den Gegner. In Schulen, in denen fürs Leben gelernt werden soll, läuft der Zorn
Amok für die endgültige Pädagogik. Fürs Leben lernt man nur, was man gegen das Leben lernt."
Manchmal sind seine poetischen Worte dann doch sehr gewaltig, tun Altbekanntem wie Neuem Gewalt an. Poesie kann den Blick weiten, die Welt klarer erscheinen lassen. Sie kann aber auch
verklären oder helfen, der Klarheit aus dem Weg zu gehen. Der Leser hat Mühe den großen Worten zu folgen. Fühlt sich dem Autor gleich verfolgt. Vielleicht sucht der auch nur den Frieden mit sich
selbst, als einer der beschädigt wurde vom Nachhall der großen Ideen? Weshalb Nachhall und welcher Ideen? Gibt es die Idee der sozialen Gerechtigkeit nicht mehr und geht's vielleicht auch ohne
destruktiven Zorn? Alles Große Vergangenheit - Gegenwart nur Abklatsch und Pervertierung? Vielleicht rührte die Beschädigung doch nicht vom Nachhall der großen Ideen her, sondern von der
Verlockungen der irdischen Macht.
Der Autor, einst mit der Macht verstrickt und noch immer an den Verstrickungen leidend, ist bereit die Folgen zu tragen und zu ertragen. Immerhin!
Hans-Dieter Schütt: Glücklich beschädigt. Republikflucht nach dem Ende der DDR, wjs Verlag, Berlin 2009, 212 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-937989-53-2