Geschichte

Reinhard Rürup: Ein Pionier der deutschen Erinnerungskultur

Der Historiker Reinhard Rürup war eine prägende Gestalt der deutschen Erinnerungskultur, auch als Direktor der Berliner Stiftung „Topographie des Terrors“. Gleichzeitig engagierte er sich für die Sozialdemokratie. Ein Nachruf.
von Bernd Faulenbach · 12. April 2018
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Im Alter von 83 Jahren ist der bekannte Historiker Reinhard Rürup verstorben. Er wurde noch von Willy Brandt in der frühen 1980er Jahren in die Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand berufen und prägte seitdem bis zu seinem Tod am 6. April 2018 die Arbeit dieses Gremiums vielfältig mit. Die Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand trauert um ihr Mitglied und wird Reinhard Rürup sehr vermissen.

Wichtiger Impulsgeber

Rürup, der 1966 der SPD beitrat, beschäftigte sich als Historiker zunächst mit dem 18. und 19. Jahrhundert, griff dann aber neben der Technikgeschichte, die er als Teil der Gesellschaftsgeschichte betrachtete, die Geschichte von Judenemanzipation und Antisemitismus in Deutschland auf. Von 1975 bis 1999 war er Inhaber des Lehrstuhls für neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin, unterbrochen durch Gastprofessuren unter anderem in Berkeley, Stanford, Harvard und Jerusalem, rückte die Zeitgeschichte zunehmend in das Zentrum seines Interesses.

Er wurde nicht nur zu einem wichtigen Impulsgeber zeithistorischer Forschung, unter dessen Leitung bedeutende Dissertationen, Habilschriften und andere Arbeiten entstanden, sondern Rürup entwickelte sich auch zu einer prägenden Gestalt der heutigen deutschen Erinnerungskultur, deren Einrichtungen er zum Teil konzipierte.

Mitwirkung an vielen Projekten

So spielte er eine besondere Rolle bei der Gründung des Institutes für Antisemitismusforschung an der TU und wirkte von 1989 bis 2004 neben seiner Professur als Gründungsdirektor der Topographie des Terrors, die, ungeachtet vielfältiger Probleme, auf dem Gelände des früheren Reichssicherheitshauptamtes errichtet, zur in Deutschland meistbesuchten Stätte der Aufklärung über die NS-Verbrechen wurde.

Auch bei etlichen anderen Institutionen und Projekten wirkte er in Leitungsgremien und Beiräten mit, so bei der Neukonzeption der großen Gedenkstätten Sachsenhausen, Ravensbrück und Buchenwald in den frühen 90er Jahren oder auch seit dem ausgehenden Jahrzehnt im Kuratorium des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.

Schwieriges verständlich formuliert

Rürup war zudem jahrelang Mitglied der Expertenkommission Gedenkstättenförderung des BKM und beriet auch die Länder in konzeptionellen Fragen der Erinnerungskultur. Auch engagierte er sich seit den 70er Jahren bei manchen Ausstellungsprojekten, etwa dem zur 750-Jahr-Feier Berlins.

Reinhard Rürup, der die Fähigkeit besaß, auch sehr komplexe Sachverhalte verständlich zu formulieren, nahm zu diversen zeithistorischen und geschichtspolitischen Fragen in stets differenzierter Weise, doch mit klarem Ergebnis Stellung. Aus seiner Sicht war die sorgfältige Aufarbeitung und Dokumentation der NS-Zeit und ihrer Verbrechen unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung des demokratischen Lebens in Deutschland.

Feine Ironie

Die hochprofessionelle Arbeit des Historikers und das politische Engagement des Sozialdemokraten waren für ihn kein Widerspruch, sondern ergänzten einander. Gewiss stand seine Arbeit im engen Kommunikationszusammenhang mit der Fachwissenschaft, doch ebenso war er ein „public historian“, der über Geschichte Orientierung in der gegenwärtigen Gesellschaft schaffen wollte. So hatte die Arbeit des Historikers durchaus politische Konsequenzen im Hinblick auf konkrete Fragen wie etwa bei der Ostpolitik oder in der Gesellschaftspolitik.

Rürup, der ausgesprochen kollegiale Umgangsformen pflegte, vertrat seine Positionen stets mit guten Argumenten, nicht selten mit feiner Ironie und mit großer Beharrlichkeit. Keineswegs nur die Mitglieder der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, sondern alle, die mit ihm in den Einrichtungen der Erinnerungskultur oder im öffentlichen Raum in Berührung gekommen sind, werden Reinhard Rürup vermissen, bei dem sich hohe Fachkompetenz und politisch-pädagogisches Engagement, Rationalität und Sensibilität, Offenheit und Menschlichkeit in ungewöhnlicher Weise verbanden.

Autor*in
Bernd Faulenbach

lehrt als Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Er war Vorsitzender der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand.

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