Geschichte

Regine Hildebrandt: Sie konnte für die Sache der Frauen streiten

Klare Kante gegen Ausgrenzung und ein immerwährender Optimismus: Die SPD-Politikerin Regine Hildebrandt war für viele Frauen ein Vorbild. 100 Jahre Frauenwahlrecht sind ein guter Grund an sie zu denken, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in ihrem Gastbeitrag.
von Manuela Schwesig · 3. Januar 2019

Ich habe in den vergangenen Monaten oft an Regine Hildebrandt gedacht: Zum Beispiel, weil wir einhundert Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland feiern. Ich würde sie gern dazu reden hören. Können wir zufrieden sein mit dem was erreicht wurde? Ja. Wir können gar nicht genug darauf verweisen wie wichtig es war, das Wahlrecht zu erstreiten, Frauen in den Volksvertretungen zu haben. Die SPD stellte übrigens mit 8,7 Prozent den größten Frauenanteil im Parlament. Nur dank dieser weiblichen Revolution 1919 konnten wir Frauen Einfluss nehmen, bekamen Gestaltungskraft und wurden zu ernst zu nehmenden Politikerinnen.

Frauen brauchen Einfluss

Es ist wichtig an die Geschichte unserer Rechte zu erinnern. Sie zeigt, dass Frauenrechte nie selbstverständlich waren, immer hart erkämpft wurden, es auch immer wieder Rückschläge gab und sie bis heute neu erstritten und verteidigt werden müssen. Genau das tat Regine Hildebrandt. Sie konnte für die Sache der Frauen streiten. Die Probleme und Bedürfnisse von Frauen waren für sie eine Herzensangelegenheit. Sie wollte, dass Frauen Einfluss nehmen, ihr ging es um das „Überall-Drinne-Sein“.

Ihr Engagement für das Thema Kinderbetreuung und die berufliche Unabhängigkeit von Frauen war in den 90er Jahren ein besonders schwieriges Unterfangen, weil das Frauenbild im Westen des Landes ein völlig anderes war. Ein Bild, das von den Frauen aus dem Osten nicht akzeptiert wurde. Und so sagte sie: „Jetzt höre ich schon wieder, daß die Kindergärten geöffnet sind von neune bis zwölfe, na entzückend! Verstehn Se, da könn'n Se noch nicht mal „achteltags" arbeiten, mit An- und Abfahrt.“

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Es ist enorm was sich in den vergangenen einhundert Jahren für Frauen verändert hat. Die Gleichstellung von Männern und Frauen steht im Grundgesetz. Seit 1962 können Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemanns ein Konto führen. Erst seit 1977 können sich Frauen entscheiden, berufstätig zu sein, ohne ihren Ehemann zu fragen. Seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar, das Gewaltschutzgesetz ist sogar erst 2002 in Kraft getreten.

Gewalt in neuen Formen

Und doch hätte uns Regine auch gewarnt – vor dem was wir heute Backlash nennen. So wie sie uns immer gewarnt hat: Vor der Arbeitslosigkeit der Frauen, vor der Einsamkeit der Alleinerziehenden, vor der Gewalt an Frauen und Kindern. So sagte sie: „Wichtig ist für Frauen, mitzubestimmen in dieser Gesellschaft............. Alles andere ist Beiwerk. „Der Mann macht das schon.“ Und wenn er nett ist, baut er ihr auch ein Vermögen auf – aber wenn er nicht nett ist, prügelt er sie zufällig ein bißchen.“

Frauen fühlen sich dieser Tage einmal wieder in ihren Rechten und in ihrer Freiheit bedroht. Hass und Gewalt richten sich immer noch und wieder gegen Frauen und gegen Menschen, die sich für Frauen einsetzen. Rund 114.000 Frauen waren allein 2018 von häuslicher Gewalt in der Partnerschaft betroffen. Ihr Zuhause ist ihre schlimmste Stätte.

Und Gewalt taucht auch in neuen Formen auf. Hassmails und Drohbriefe sind oft die Antwort, wenn man in sozialen Netzwerken etwas veröffentlicht gegen Rechtspopulismus, für geflüchtete Menschen – oder für Gleichberechtigung. Die Forderung nach gleichen Rechten und gleichen Chancen für Frauen und Männer – und nach konkreten Schritten, um das zu verwirklichen – zieht Hass auf sich. Es ist der gleiche Hass, der sich gegen alles Fremde, gegen Andersdenkende, gegen kritische Medien und gegen die Demokratie richtet. Freiheit und Demokratie werden heute von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten bedroht, und leider auch von denen, die wegschauen oder sich gänzlich verabschiedet haben.

Klare Kante gegen Ausgrenzung

Wir müssen uns dem entgegenstellen, so wie es Regine Hildebrandt getan hätte. Denn sie hat nie Menschen ausgegrenzt, sondern ernst genommen. Ihr war immer die Mitmenschlichkeit wichtig. Und allein aus dem Grund hätte sie klare Kante gegen alles Rechtspopulistische gezeigt.

Ihr Aktionsradius war groß, ihre Energie unendlich und ihr Wille zur Veränderung einzigartig. Für viele Menschen war es ein Ereignis, Regine Hildebrandt sprechen zu hören. Sie hingen an ihren Lippen. Ihre klare und verständliche Art zu sprechen und ihr immerwährender Optimismus gaben den Menschen Kraft und Selbstvertrauen. In einer Zeit, in der das ostdeutsche Selbstbewusstsein ohnehin geschrumpft war. In einer Zeit, in der Massenarbeitslosigkeit und die Veränderung der sozialen Verhältnisse die Menschen extrem verunsicherten.

Und so wünschen wir uns manchmal ihre  Worte zu den Ereignissen von heute. Und manchmal hören wir sie auch in Gedanken ganz leise zu uns sprechen: „Erzähl mir doch nich, dasset nicht jeht.“

Autor*in
Manuela Schwesig
Manuela Schwesig

ist Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Landesvorsitzende der SPD.

 

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