Rechte Verschwörung im Nachkriegsdeutschland aufgedeckt
Am 8. Oktober 1952 ergreift Ministerpräsident Georg-August Zinn im Hessischen Landtag das Wort und erklärt den Abgeordneten, die Landespolizeibehörden hätten eine Verschwörung aufgedeckt, die unter dem Deckmantel des Bundes Deutscher Jugend (BDJ) und mit Wissen der US-Geheimdienste Sabotageakte in der Bundesrepublik Deutschland geplant habe.
Erschüttert müssen die Abgeordneten zur Kenntnis nehmen, dass die Terroristen eine Liste von zu liquidierenden, vor allem sozialdemokratischen Politikern zusammengestellt hatten. Die nahezu unfassbare Geschichte hat eine Vorgeschichte.
Nachkriegsdeutschland
Als der große Krieg gerade vorbei ist und die Überlebenden versuchen, sich im demokratischen Neuanfang wiederzufinden, suchen die westlichen Alliierten bereits nach Mitkämpfern für die bevorstehenden neuen Kriegsschauplätze. Sie werden fündig bei den alten Kameraden, die schon in der Nazizeit ihr Mordhandwerk beherrscht haben. Für die neuen Grabenkämpfe rekrutieren sie Verbrecher wie Reinhard Gehlen und Klaus Barbie, die über Erfahrungen in der Bekämpfung von Partisanen und der Auslöschung unerwünschten Lebens haben. Gehlen wird hochoffiziell zum Geheimdienstchef des neuen Deutschland aufgebaut, Barbie wird abgeschöpft, damit alte Nazi-Terrorstrukturen auch im Nachkriegsdeutschland eine Heimstatt finden können.
Nach dem Beinaheverlust ganz Koreas an „den Kommunismus“ grassiert die Angst, die Russen könnten über die Zonengrenze kommen und den solchermaßen westalliiert begleiteten Neuaufbau beenden. Anfang der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beginnen die US-Amerikaner damit, in vielen westeuropäischen Staaten „Stay behind“ - Oranisationen aufzubauen, die im Hinterland der von den roten Armeen besetzten Territorien Terroraktivitäten entwickeln sollen. Das italienische Terrornetzwerk „Gladio“ gilt bis heute als beispielgebend.
Im Falle eines sowjetischen Vormarsches
In der jungen Bundesrepublik gehen die US-amerikanischen Geheimdienste CIA und CIC mit besonderer Perfidie vor und nutzen den postfaschistischen, stramm antikommunistischen „Bund Deutscher Jugend“ (BDJ), der 1950 in Frankfurt am Main bewusst als Gegengewicht zur Freien Deutschen Jugend gegründet wird. Gründungsvorsitzender und Chefdenker des BDJ ist Paul Lüth, der sich mit der vertraulich lancierten Broschüre „Bürger und Partisan“ in einschlägigen Geheimdienstkreisen einen Namen gemacht hat.
Im April 1951 beginnt unter Anleitung amerikanischer Geheimdienstler der Aufbau des „Technischen Dienstes“ des BDJ, in dem sich vor allem ehemalige Wehrmachtsangehörige und SS-Veteranen auf den Guerillakrieg gegen eventuelle rote Besatzer vorbereiten. Nach Einschätzung des hessischen Innenministers Heinrich Zinnkann finanzieren CIA und CIC das Guerilla-Abenteuer mit monatlich 50.000 DM. Mit Hilfe dieser Mittel bauen die BDJ-Partisanen ein Schulungszentrum in Wald-Michelbach im Odenwald und legen in mehreren Bundesländern Waffendepots an, die von den amerikanischen Auftraggebern üppig bestückt werden.
Vier Jahre vor der bundesdeutschen Wiederbewaffnung stecken die US-Geheimdienstler ihre deutschen Helfershelfer in US-Uniformen und bilden sie auf dem nahe bei Wald-Michelbach gelegenen Truppenübungsplatz in Grafenwöhr im Guerillakampf aus. Im September 1952 „outet“ sich der ehemalige SS-Offizier Hans Otto und erklärt der Kriminalpolizei, er gehöre einer Widerstandsgruppe an, die im Falle eines sowjetischen Vormarsches Sabotageakte verüben soll. Nach Ottos Aussagen sind etwa 100 BDJ-Mitglieder politisch geschult und im Gebrauch von Waffen unterwiesen worden.
Liquidationsliste
Am 13. September 1952 stürmt die Polizei das Schulungszentrum in Wald-Michelbach, nimmt die dort anwesenden BDJ-Kämpfer fest und beschlagnahmt Waffen und konspirative Materialien. Für Entsetzen sorgt der Fund einer „Liquidationsliste“, auf der die Namen prominenter Sozialdemokraten verzeichnet sind, die im Falle einer sowjetischen Okkupation ausgeschaltet werden sollen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer ist darauf ebenso verzeichnet wie die ersten Bürgermeister der Hansestädte Bremen und Hamburg, Wilhelm Kaisen und Max Brauer. Auch der hessische Innenminister Heinrich Zinnkann, der sich bei den Ermittlungen gegen den BDJ besonders hervorgetan hat, ist zur Liquidierung vorgesehen
Bundeskanzler Konrad Adenauer, der seit geraumer Zeit den Beitritt der Bundesrepublik zum NATO-Pakt betreibt, reagiert überrascht und lässt wissen, er habe von alledem nichts gewusst. Das klingt im nachhinein unglaubwürdig, denn der amerikanische Hochkommissar für Deutschland, Walter Donelly, teilt mit, das Terrornetzwerk hätte ohnehin im September 1952 aufgelöst werden sollen. Am 30. September 1952 werden alle verhafteten BDJ-Kämpfer auf Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf freien Fuß gesetzt.
Hessens Ministerpräsident Georg-August Zinn, der seit einigen Wochen Kenntnis von den geheimen Aktivitäten hat, reagiert verärgert auf die Haftentlassung. Nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer platzt ihm der Kragen. Am 8. Oktober 1952 eröffnet Zinn den Abgeordneten des Hessischen Landtages das ganze Ausmaß des Skandals und erklärt: „Am 9. September 1952 erfuhr eine Außenstelle des hessischen Verfassungsschutzamtes von einer geheimen Organisation, die 1950/52 von den Anführern des BDJ unter der Bezeichnung TD, ‘Technischer Dienst‘, gegründet wurde.“ Zinn beschreibt ausführlich die Arbeitsweise der Terrororganisation und stellt schließlich empört fest: „Am 1. Oktober ordnete der Oberbundesanwalt die Freilassung der Verdächtigen an, da die Organisation auf Anordnung der amerikanischen Geheimdienste geschaffen wurde.“
Anfang 1953 werden der Bund Deutscher Jugend und seine Terrororganisation „Technischer Dienst“ verboten. Verfahren gegen die Hauptakteure werden auf Geheiß der Amerikaner nicht eingeleitet und der Skandal ebbt langsam ab.
Quellen:
„Angreifen und Zerstören“, SPIEGEL 48/1990
Jonathan Stock, „Guerilla von Staats wegen“, Süddeutsche Zeitung, 17.5.2010
wikipedia open source