Geschichte

Picheln mit dem Blechtrommler

von Holger Küppers · 25. November 2005

Im gleichnamigen Kurzprosaband gibt Grass Einblick in seinen Schaffungsprozess. Was motiviert ihn, den Literaten von Weltrang? Grass' Motivation entsteht und besteht aus Skepsis, aus Verlusterfahrungen, so attestiert der Herausgeber Dieter Stolz dem Autor im Nachwort: "Nur so konnte das Schreiben (…) nach dem unheilbaren Zivilisationsbruch und der alle Lebensbereiche erfassenden Entzauberung nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt werden." Und so erschließt sich dem Leser auch, wie seinerzeit die "Blechtrommel" entstand.

In Grass' neuem Band liest er nun: "Wir leben im Ei. Die Innenseite der Schale haben wir mit unanständigen Zeichnungen und den Vornamen unserer Feinde bekritzelt. Wir werden gebrütet … Und wenn wir nun nicht gebrütet werden? Wenn diese Schale niemals ein Loch bekommt? Wenn unser Horizont nur der Horizont unserer Kritzeleien ist und auch bleiben wird? Wir hoffen, dass wir gebrütet werden." Auch hier eine gehörige Portion Skepsis, aber auch Neugier auf die "Welt da draußen".

Und so düster, wie die Ei-Geschichte vielleicht vermuten lässt, ist der gesamte Band mitnichten. Er enthält ebenso viel Heiteres und offenbart die andere Seite des Günter Grass; eine, die ihm zum Schreiben gewiss genauso wichtig ist (man denke an "Katz und Maus"): "Wir tauschten Erinnerungen aus, lachten an den richtigen Stellen und pichelten bis in den frühen Morgen. Die Stadt Frankfurt ist für ihr Nachtleben bekannt." Auch Günter Grass kann ohne Freude am Leben nicht existieren und arbeiten. Aber das hat der Leser längst gewusst, z.B. aus Interviews mit Grass. Und dieser lässt sich auch auf keinen Fall madig machen, was er geschaffen hat - so beispielsweise auch (oder erst recht?) nicht von Marcel Reich-Ranicki, der ihm dereinst Unfähigkeit unterstellte - man erinnere sich an eine "Spiegel"-Ausgabe des Jahres1995, deren Titelbild den Kritiker zeigt, wie er Grass\' "Ein weites Feld" zerreißt. Es bleibt zu hoffen, dass der "Literaturpapst MRR", wenn er den neuen Grass- Band in die Hände bekommt, damit anders umgeht.

Holger Küppers

Günter Grass, "Wir leben im Ei", Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2005, 13, 80 Euro, 194 Seiten, ISBN 3518223879

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