Peter Blachstein: Ein Sozialist in der SPD
Anfang August 1946 reist ein junger Mann von Schweden aus in die USA, vermutlich, um seine Mutter und seine Geschwister zu treffen, die dort im Exil leben. Im Reisegepäck hat er ein Manuskript mit dem Titel „Notizen“, in dem Herbert Wehner die Bilanz seines kommunistischen Parteilebens gezogen hat. Der Adressat dieser Bilanz ist Günter Reimann, der ehemalige Wirtschaftsredakteur des KPD-Organs „Rote Fahne“. Dieser äußert sich missbilligend über den Boten. In einem Brief an Herbert Wehner schreibt Günter Reimann: „Er ist ist noch jung, wird in der deutschen Sozialdemokratie tätig sein, glaubt ‚links‘ zu sein, sehr antistalinistisch, glaubt in Deutschland zum Sozialismus und neuem Geist erziehen zu müssen“. Der junge Mann heißt Peter Blachstein und kommt wie Herbert Wehner aus Dresden. Dort sind sie sich allerdings nicht begegnet, denn Blachstein ist fünf Jahre jünger als Wehner.
Ein unsteter Geist mit vielen Interessen
Geboren wird Peter Blachstein am 30. April 1911. Sein Vater ist Textilkaufmann, die Mutter Bibliothekarin. Der Junge wächst — wie seine Geschwister Klaus und Bella — in bildungsbürgerlichen Verhältnissen auf. Die Familie ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Dresden, lebt aber nach außen hin weltlich. Dennoch ist davon auszugehen, dass Peter Blachstein seinen Bar Mizwa hatte, denn 1923 schließt er sich der „Deutsch-Jüdischen Jugendgemeinschaft“ an, deren Vorsitz er 1928 übernimmt. Peter Blachstein ist schon in jungen Jahren ein unsteter Geist mit vielen Interessen. Das König-Georg-Gymnasium verlässt er ohne Abschluss. Auch eine anschließende Buchhändlerlehre beendet er nicht. 1928 schließt sich Peter Blachstein der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ (SAJ) an, im Jahr darauf wird er Mitglied der SPD.
Mit einer Ausnahmegenehmigung des Sächsischen Wirtschaftsministeriums kann Peter Blachstein ab 1929 Germanistik und Wirtschaftswissenschaften studieren. Nebenbei verfasst er Artikel für die „Dresdner Volkszeitung“. Zusätzlich absolviert der kulturell vielseitig interessierte junge Mann ein Gaststudium bei dem Schauspieler Erich Ponto und der Tänzerin Mary Wigman. 1931 verlässt Peter Blachstein mit anderen Parteilinken die SPD und schließt sich der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAP) an, für deren Agitationszwecke er die Kabarettgruppe „Nebelspalter“ aufbaut.
Am 8. Mai 1933 wird Peter Blachstein mit anderen Genossen verhaftet, vor ein „Sondergericht“ gestellt und im November zu einer langen Haftstrafe verurteilt. 1934 verfrachten die Nazis Peter Blachstein in das Konzentrationslager Hohnstein, das wegen der besonderen Brutalität der KZ-Wächter gefürchtet ist. Im Rahmen einer Amnestie nach dem Tod von Reichspräsident Hindenburg wird Peter Blachstein aus dem KZ Hohnstein entlassen und unter Polizeiaufsicht gestellt. Ende Dezember flüchtet er kurz vor einer erneuten Verhaftung nach Prag, das sich zum zentralen Fluchtpunkt für Sozialdemokrat*innen und Linkssozialisten*innen entwickelt hat.
Eine widersprüchliche Freundschaft mit Willy Brandt
Die SAP-Auslandsleitung beordert den Genossen Blachstein im August 1935 nach Oslo, wo er auf einen anderen SAP-Genossen trifft, mit dem ihn eine lebenslange, durchaus widersprüchliche Freundschaft verbinden wird: Willy Brandt. Gemeinsam arbeiten sie für die internationale Jugendorganisation der SAP und zeichnen verantwortlich für deren Organisationsbriefe.
Peter Blachsteins politische Odyssee setzt sich im November 1936 in Barcelona fort, wo er als Internationaler Sekretär des „Revolutionären Büros Internationaler Jugendorganisationen“ (IBRJ) tätig wird. Blachstein schließt sich der „POUM“, der Vereinigten Marxistischen Arbeiterpartei, an und arbeitet für die deutschsprachige Zeitschrift „Die Spanische Revolution“, die als Bindeglied zu deutschen SAP-Mitgliedern dienen soll. Auch Willy Brandt wird im März 1937 hier tätig. Da sich die SAP-Mehrheit für die Bildung einer Volksfront mit den Kommunisten ausspricht, die Peter Blachstein strikt ablehnt, wird dieser 1937 aus der Partei ausgeschlossen. Das hat für ihn beinahe fatale Konsequenzen, denn er wird im Juni von stalinistischen Scherg*innen festgenommen. Blachstein überlebt im Gegensatz zu anderen SAP- und POUM-Genoss*innen die Haft und kann im Januar 1938 über Frankreich nach Norwegen fliehen.
In Norwegen nimmt Peter Blachstein mit gewerkschaftlicher Unterstützung ein Studium der Ökonomie, Geschichte und Literaturwissenschaften auf. Nach dem deutschen Einmarsch in Norwegen am 9. April 1940 ist Peter Blachstein wieder in akuter Gefahr. Noch im April flieht er nach Schweden, wobei ihm seine inzwischen erworbenen Norwegisch-Kenntnisse hilfreich sind. Nach längerer Krankheit – er leidet an TBC – findet Peter Blachstein 1943 Arbeit in der Statistischen Abteilung der Universität Uppsala. Dort trifft er zum ersten Mal Herbert Wehner, der kurzzeitig ebenfalls dort arbeitet. Politisch ist Peter Blachstein in der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter*innen aktiv.
Botschafter auf Bitten Brandts
Im April 1947 schließlich kehrt Peter Blachstein als „Sozialist“ nach Deutschland zurück und wird in Hamburg wieder Mitglied der SPD. Bereits im Jahr darauf übernimmt er den Vorsitz des Kreisverbands Eimsbüttel und wird in den Landesvorstand der Hamburger SPD gewählt. 1949 zieht Peter Blachstein in den Deutschen Bundestag ein, dem er bis zu seiner Mandatsniederlegung zum 31. Mai 1968 ununterbrochen angehört. Blachstein ist einer von nur drei jüdischen Abgeordneten im Bundestag, versteht sich aber ausschließlich als Sozialist. So sieht er sich auch innerhalb der SPD.
Als die Partei 1959 den Entwurf für ein neues Programm vorlegt, dessen zentrale Bestandteile die Abkehr von den marxistischen Wurzeln der Partei und die Hinwendung zur „Sozialen Marktwirtschaft“ sind, stellt sich Peter Blachstein quer. Als einer von 16 Delegierten stimmt er 1959 auf dem Godesberger Parteitag gegen das neue Programm. Dass ausgerechnet Herbert Wehner dafür stimmt, enttäuscht Blachstein, der trotz der Programmentscheidung Mitglied der Partei bleibt.
1968 wird Peter Blachstein auf Bitten seines alten Freundes Willy Brandt Botschafter in Jugoslawien, was als Zeichen gegen die ost-westliche Blockstarre angesehen wird. Sein Bundestagsmandat legt er nieder, mischt sich aber weiterhin in die Belange der Hamburger SPD ein. Aus „gesundheitlichen Gründen“ legt Blachstein sein Amt als Botschafter 1969 nieder und bewirbt sich noch einmal um das Bundestagsmandat für Eimsbüttel, verkennt aber, dass seine Zeit abgelaufen ist. „Schwachsein mit Blachstein“, skandieren seine Gegner. Der alte Sozialist verliert schließlich. Am 4. Oktober 1977 stirbt Peter Blachstein, bereits weitgehend vergessen, in Hamburg.
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