Geschichte

Pazifistischer Kämpfer für ein anderes Deutschland

Es gab keine Partei, die Fritz Küsters Pazifismus gerecht wurde, auch die SPD nannte er „nationalistisch-militärfromm“. Stattdessen publizierte er seine Ansichten im selbst gegründeten Kampfblatt „Das andere Deutschland“ und ließ sich auch von den Nationalsozialisten nicht einschüchtern.
von Lothar Pollähne · 18. Dezember 2014
Fritz Küster war einer der Wortführer der Proteste 1928 gegen den Bau des „Panzerkreuzers A".
Fritz Küster war einer der Wortführer der Proteste 1928 gegen den Bau des „Panzerkreuzers A".

Es ist schon erstaunlich, welche Sekten nach Auffassung des „vorwärts“ zu Beginn der 30er Jahre „in den Niederungen der Arbeiterbewegung ihr Unwesen treiben“. Und es ist aufschlussreich, denn die Liste, veröffentlicht am 27. September 1931, spiegelt die „Generallinie“ der SPD wider. Sie liest sich wie ein sozialdemokratisches „dejà vu“ und enthält durchweg Gruppen, die mehr oder weniger erfolglos im Grenzbereich zwischen SPD und KPD agieren. Aufgeführt werden die USPD und deren einflussloser Vorsitzender Theodor Liebknecht, die USPD-Abspaltung „Sozialistischer Bund“ mit dem Vorsitzenden Georg Ledebour, der „Internationale Sozialistische Kampfbund“ (ISK) mit dem späteren Mitautor des Godesberg Programms, Willi Eichler, und die KPD-Opposition (KPO) mit dem ehemaligen KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler.

Bis auf Willi Eichler hat keiner der ehemals einflussreichen sozialdemokratischen „Abweichler“ im zweiten demokratischen deutschen Staat nennenswerte Akzente setzen können. Liebknecht starb, auf Besuchsreise aus dem schweizerischen Exil, 1948 in Altenburg bei Gifhorn. Georg Ledebour machte sich in der Emigration für die Vereinigung von SPD und KPD zur SED stark und starb 1947 in der Schweiz. Heinrich Brandler schließlich versuchte nach der Rückkehr aus dem kubanischen Exil mit der „Gruppe Arbeiterpolitik“ an die Politik der KPO anzuknüpfen.

Vorsitzender der „Deutschen Friedensgesellschaft“

Einer fehlt in dieser Riege sozialdemokratisch geprägter Oppositionspolitiker: Fritz Küster. Dessen „Arbeitsgemeinschaft für linkssozialistische Politik - Friedensgesellschaft“ verortete der „vorwärts“ 1931 ebenfalls in den Niederungen der Arbeiterbewegung. Das ist nur bedingt richtig, denn hinter dem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen diese Arbeitsgemeinschaft, vor allem aber gegen dessen Sprecher Fritz Küster, verbirgt sich die Verärgerung des Parteivorstands der SPD über jahrelang andauernde Konflikte innerhalb der „Deutschen Friedensgesellschaft“, der ältesten pazifistischen Organisation in Deutschland. Deren Vorsitzender ist bis zur Machtübertragung an die Nazis eben jener Fritz Küster.

In der „Chronik der deutschen Sozialdemokratie“ von Franz Osterroth und Dieter Schuster wird Fritz Küster zwei Mal erwähnt. Zum einen als besagter „Sektenanführer“ und im März 1932 als Beisitzer für den geschäftsführenden Vorstand der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Wer also war Fritz Küster? Geboren wird er am 11. Dezember 1889 als uneheliches Kind einer Dienstmagd in Ober-Einzingen in der Lüneburger Heide. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitet er zunächst in der Landwirtschaft. 1912 schließt er seine Ausbildung an der Baugewerbeschule in Buxtehude mit der Meisterprüfung im Tiefbau ab. Danach arbeitet Fritz Küster als Vermessungstechniker im Gleisbau. Diese Arbeit dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass der entschiedene Kriegsgegner Küster den Kriegsdienst vermeiden kann.

Gründer eines pazifistischen Kampfblattes

Politisch orientiert sich Fritz Küster zunächst national-konservativ und wird Mitglied der welfisch gesinnten „Deutsch-Hannoverschen Partei“. Die verlässt er wegen der unzureichenden Anti-Kriegspolitik und schließt sich 1920 der liberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) an. Auch hier kann er friedenspolitisch wenig bewirken und tritt noch im selben Jahr wieder aus.

Bereits 1919 war Küster der „Deutschen Friedensgesellschaft“ beigetreten und hatte die Ortsgruppe Hagen gegründet. Obwohl er den „entschlossenen Kampf gegen die alten Gewalten“ vermisst, schließt sich Fritz Küster der SPD an, jedoch ohne besonderes Engagement. 1921 gründet er in Hagen die Wochenzeitung „Der Pazifist“, die er nach dem Umzug nach Berlin 1925 in „Das andere Deutschland“ umbenennt. Als Autoren kann er Erich Kästner und Kurt Tucholsky gewinnen. Wie ernst das Blatt genommen wird, zeigt die Tatsache, dass Küster 1928 wegen einiger Enthüllungen über illegale Aufrüstungspläne zu neun Monaten Festungshaft verurteilt wird, die er jedoch nach einer präsidentialen Amnestie nicht antreten muss.

Fritz Küsters Verhältnis zur SPD bleibt in den letzten Jahren der Weimarer Republik gespalten. Mit seiner anti-nationalistisch ausgerichteten Friedensgesellschaft, der auch viele Sozialdemokraten angehören, engagiert er sich 1928 vehement gegen den von der Regierung Hermann Müller beschlossenen Bau des „Panzerkreuzer A“. Dabei nutzt er das Organ der Friedensgesellschaft „Das Andere Deutschland“ mit Erfolg als pazifistisches Kampfblatt. 1931 schließlich verlässt Fritz Küster die SPD wegen deren „nationalistisch-militärfrommen Tolerierungspolitik“ und schließt sich der SAP an. Auch sein dortiges Gastspiel ist von kurzer Dauer. Küster resigniert angesichts des Scheiterns der Republik, kämpft aber weiter für „Das Andere Deutschland“.

Republikanischer Querdenker

Allen Warnungen zum Trotz flieht Fritz Küster nach der Machtübergabe nicht vor den Nazis. Mit seinem Bleiben will er mit seiner Zeitung ein Zeichen setzen gegen die Barbarei. „Das Andere Deutschland“ wird am 4. März 1933 verboten. Zwei Tage später wird Fritz Küster verhaftet und bis 1938 in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert. Nach der Haftentlassung arbeitet Küster als Ingenieur bei einer Gleisbaufirma in Hannover. Obwohl er unter Beobachtung steht, unterhält Fritz Küster Kontakte zum „Kreisauer Kreis“. Auf Vorschlag Julius Lebers hätte er nach der Beseitigung des Hitler-Regimes „Reichskommissar zur Aburteilung von Naziverbrechen“ werden sollen.

Die Befreiung vom Faschismus erlebt Fritz Küster in Hannover, wo er seine pazifistische Arbeit wieder aufnimmt. Von 1945 bis 1947 amtiert er als Vorsitzender der „Deutschen Friedensgesellschaft“. Auch die SPD nimmt den kritischen Republikaner wieder in ihren Reihen auf. Kurt Schumacher hatte Küster in einem längeren Gespräch zum Eintritt ermuntert. Ab 1947 kann Küster auch seine publizistische Arbeit fortsetzen als Herausgeber der Wochenzeitung „Das Andere Deutschland“, die jedoch nicht mehr die Bedeutung erlangt, die sie bis zum Verbot durch die Nazis gehabt hatte. Fritz Küster bleibt im zweiten demokratischen Deutschland ein Querkopf. Aus der SPD wird Küster 1951 als Kritiker der sich anbahnenden Wiederaufrüstung ausgeschlossen. Die „Deutsche Friedensgesellschaft“ verlässt er 1954 nach internen Querelen. Trotz eines Schlaganfalls, den er 1958 erleidet, leitet er „Das Andere Deutschland“ bis 1962. Dann gerät die Wochenzeitung unter den Einfluss der DDR. 1969 muss sie ihr Erscheinen wegen ungenügender Finanzierung einstellen. Das erlebt Fritz Küster nicht mehr. Der fast vergessene Republikaner stirbt am 18. April 1966 in Hannover.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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