Geschichte

Paul Levi: SPD, KPD und zurück

Als Anwalt verteidigte er Rosa Luxemburg, in der Folge wurden sie ein Liebespaar. Gemeinsam gründeten sie die KPD, aus der Paul Levi später ausgeschlossen wurde. Die Aufklärung der Morde an Luxemburg und Liebknecht blieb eine Lebensaufgabe.
von Lothar Pollähne · 11. März 2023

„Wenn noch an einer Totenbahre der Hass nicht schweigen will, wenn an die Stelle des „Requiescat in pace!“ der Fluch tritt: „Deine Asche möge im Wind verwehn!“ dann weiß man, dass hier kein Durchschnittsmensch gestorben sondern ein außergewöhnliches Leben zu Ende gelebt ist und dass die Erregungen, die es ausgelöst hat, stärker sind als Konvention oder selbst als natürliches Gefühl.“ Mit diesen Worten kommentiert Carl von Ossietzky in der Weltbühne vom 18. Februar 1930 einen Vorgang, den ein deutsches Parlament bis dato nicht erlebt hatte. In der 122. Sitzung des Reichstags am 11. Februar 1930 hatte Reichstagspräsident Paul Löbe die Abgeordneten gebeten, sich während seines Nachrufs auf den kurz zuvor gestorbenen Abgeordneten Paul Levi zu erheben. Auch die Abgeordneten der KPD und der NSDAP erhoben sich — und verließen geschlossen den Saal.

Gnadenloser Hass von links und rechts

Wie konnte es kommen, dass der extreme Freigeist und radikale Sozialist Paul Levi selbst post mortem den gnadenlosen Hass der extremen Parteien zwischen den beiden Weltkriegen auf sich zog? Seine Herkunft lässt das zunächst nicht vermuten. Geboren wird Paul Levi am 11. März 1883 im württembergisch-hohenzollernschen Städtchen Hechingen als jüngstes Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Der Vater Jakob ist ausgebildeter israelitischer Religionslehrer und Schächter; die strenggläubige Mutter Kathie sorgt dafür, dass im Hause Levi die koscheren Speisevorschriften eingehalten werden. Als Besitzer einer Fabrik für Herrenunterwäsche gehört Jakob Levi außerhalb der jüdischen Gemeinde zum gehobenen Bürgertum Hechingens. 1901 wird er in die Stadtverordnetenversammlung der Stadt gewählt und engagiert sich republikanisch.

Diese Haltung wird auch den jungen Paul geprägt haben. Er darf die weltliche Volks- und Realschule besuchen. 1896 schicken die Eltern den jungen Paul nach Stuttgart, wo er am 1. Juni 1901 am Karl-Gymnasium seine Reifeprüfung ablegt. Schon als junger Gymnasiast verbringt Levi seine Freizeit am liebsten in Gerichtssälen. Die Jurisprudenz wird sein weiteres berufliches und politisches Leben bestimmen. Paul Levi studiert in Heidelberg, Grenoble und Berlin, wo er  1904 seine erstes juristisches Staatsexamen ablegt. im Jahr darauf wird er Gerichtsreferendar am Amtsgericht Hechingen und schreibt seine Dissertation über „Das Verhältnis von Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsklage“ mit der zentralen Frage, wie das Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat geschützt werden kann.

Verteidigung von Rosa Luxemburg

1909 lässt sich Paul Levi als Anwalt in Frankfurt am Main nieder und tritt der SPD bei, mit der er schon seit Studienzeiten sympathisiert hatte. Der mitreißende Redner macht schnell Karriere und wird 1912 Reichstagskandidat. 1913 übernimmt Paul Levi die Verteidigung einer Mandantin, die sein weiteres Leben bestimmen wird: Rosa Luxemburg. Die internationalistische Sozialdemokratin hatte 1913 nach Ausbruch des Balkankrieges in Frankfurt am Main öffentlich erklärt: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder andere ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: ‚Nein, das tun wir nicht!‘“ Das wertet ein Staatsanwalt als „Attentat auf den Lebensnerv unseres Staates“ und klagt an.

Trotz eines brillanten Plädoyers von Paul Levi wird Rosa Luxemburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Strafe wird jedoch auf Antrag Levis zunächst ausgesetzt. Im Zuge des Gerichtsverfahren verlieben sich Paul Levi und Rosa Luxemburg, halten aber ihre Beziehung weitgehend geheim. Levi ist hingerissen von der analytischen Radikalität seiner Geliebten und radikalisiert sich selbst. 1915 gründet er mit Rosa Luxemburg, Klara Zetkin und Karl Liebknecht die „Gruppe Internationale“, die als Keimzelle der „Spartakusgruppe“ gilt. Als im April 1917 linke Sozialdemokrat*innen die USPD bilden, ist auch die Spartakusgruppe dabei, bleibt aber eigenständig.

„Levi hat den Kopf verloren.“

Zum Jahreswechsel 1918/1919 treffen sich in Berlin „Spartakisten“ und weitere linksrevolutionäre Gruppen und gründen nach sowjetischem Vorbild die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Auch Paul Levi gehört zu den Gründungsmitgliedern. Mit seiner Eigenständigkeit gerät er alsbald in eine Außenseiterrolle. Gemeinsam mit Rosa Luxemburg plädiert der Verfechter der Rätedemokratie für die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung und unterliegt; die KPD allerdings auch. Nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 und der von Leo Jogiches am 10. März 1919 übernimmt Paul Levi den Vorsitz der — zu jener Zeit außerhalb der großen Städte marginalen — KPD und versucht, diese zur Massenpartei auszubauen.

Auf dem KPD-Parteitag im Frühjahr 1919 setzt Levi den Ausschluss der linksradikalen Kräfte aus der Partei durch. Im Oktober des Jahres kann er die KPD sogar von der Teilnahme an der Reichstagswahl überzeugen. Die Wahl endet für die Partei desaströs. Lediglich Klara Zetkin und Paul Levi ziehen in den Reichstag ein. 1920 wähnt Paul Levi die KPD nach der Vereinigung mit der linken Mehrheit der USPD auf Erfolgskurs, aber die Mehrheit der Partei ist mittlerweile bolschewisiert und agiert zunehmend putschistisch. Das kritisiert Levi auch gegenüber der Moskau-gesteuerten Komintern-Führung, die ihn kompromisslos verfolgt. Auf deren Veranlassung wird Paul Levi aus der KPD ausgeschlossen. Lenin billigt diese Maßnahme, erklärt aber: „Levi hat den Kopf verloren. Er war allerdings der einzige in Deutschland, der einen zu verlieren hatte.“

Rückkehr in die SPD

Über die Kommunistische Arbeitsgruppe (KAG) und die USPD, die sich im September 1922 mit der SPD vereinigt hatte, kehrt der ganz und gar nicht kopflose Paul Levi in seine alte Partei zurück. Dort betätigt er sich, wie schon zuvor in seinen anderen Parteien, als Exponent des linken, marxistischen Parteiflügels. Ab 1923 gibt er die Zeitschrift „Sozialistische Politik und Wirtschaft“ heraus, das wichtigste Diskussionsforum der nichtkommunistischen Linken.

1924 erringt Paul Levi das Reichstagsmandat im traditionell roten Bezirk Zwickau-Plauen, das er bis zu seinem Tod behält. Seine Hauptaufgabe sieht er im Kampf gegen rechts und für die Erhaltung des demokratischen Rechtsstaates. Als Anwalt widmet sich Levi unnachgiebig der Aufklärung der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. 1928 verteidigt er den Redakteur der Zeitschrift „Das Tagebuch“, Joseph Bornstein, gegen den Reichsgerichtsrat Paul Jorns, der die Schuldigen an den Morden ungeschoren gelassen hatte. Das Verfahren wird zum Tribunal gegen Jorns und für den Rechtsstaat, und Bornstein wird freigesprochen. Während des Revisionsverfahrens erkrankt Paul Levi an einer fiebrigen Lungenentzündung. In der Nacht zum 9. Februar 1930 stürzt Levi aus dem Fenster seiner Dachgeschosswohnung und stirbt.

Carl von Ossietzky schreibt in  seinem Nachruf auf Paul Levi: „Er war eine eigene Macht, mit seinen Widersprüchen und Irrtümern seine eigene Fahne, und diese Fahne ist gesunken.“   

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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