Geschichte

Parteivorsitz: Die Doppelspitze hat bei der SPD Tradition

Wird die SPD künftig von einer Doppelspitze aus siner Frau und einem Mann geführt? Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles wird die Forderung immer lauter. Neu ist die Idee nicht: Die SPD hatte in gut der Hälfte ihrer 150-jährigen Geschichte zwei Vorsitzende.
von Thomas Horsmann · 26. Oktober 2015

Die Idee einer Doppelspitze entsprang dem Konflikt von zwei Übervätern der Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle und August Bebel. Lassalle hatte 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) gegründet, den er als Präsident streng hierarchisch auf seine Person zugeschnitten aufbaute und autoritär führte. Nach Lassalles frühem Tod bei einem Duell 1864 hielten seine Nachfolger an dieser Struktur fest. Vor allem unter  Präsident Johann Baptist von Schweitzer (1867-1871) nahm die Kritik am diktatorischen Führungsstil massiv zu. Doch erst Präsident Wilhelm Hasenclever (1871-1875) war zu Reformen bereit.  

Vor der Doppelspitze: Konkurrenz statt Einheit

Inzwischen hatten Bebel und Wilhelm Liebknecht in Sachsen an einer konkurrierenden Arbeiterpartei gearbeitet. 1869 gelang es ihnen in Eisenach, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) zu gründen. Die neue Partei stand in direkter Konkurrenz zum ADAV und wählte ganz bewusst eine völlig andere, demokratische Organisationsstruktur. Die kollektive Führung übernahm ein fünfköpfiger Ausschuss, dessen zwei Vorsitzende gleichberechtigt waren.

Nach der Reichsgründung 1871 vereinigten sich beide Parteien 1875 in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Es wurde die hierarchische Organisationsstruktur des ADAV übernommen, die Parteiführung wurde jedoch nach dem Vorbild der SDAP gebildet. Die beiden Vorsitzenden wurden Hasenclever und Georg Wilhelm Hartmann, der ebenfalls aus dem ADAV stammte. Bebel wurde Mitglied der Kontrollkommission, Liebknecht und später auch Hasenclever wurden gleichberechtigte Chefredakteure des seit 1876 erscheinenden Vorwärts.

Kollektive Führung bewährt sich

Durch das Sozialistengesetz von 1878 wurde die SAP verboten. Bis zur Aufhebung des Gesetzes 1890 bewährte sich die kollektive Führung, die eher an der gemeinsamen Sache, denn an Führungspersönlichkeiten orientiert war. Nach Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 wurden Paul Singer und Alwin Gerisch an die offizielle Spitze der sich nun SPD nennenden Partei gewählt. 1892 löste die Gallionsfigur der Sozialdemokratie, August Bebel, Giersch als Vorsitzenden ab. Unter Singer und Bebel stieg die SPD zur Massenpartei auf.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg starben Bebel und Singer, die neue Führungsspitze entsprach den beiden Flügeln der Partei. Die Parteilinken repräsentierte der Pazifist Hugo Haase, die Parteirechte Friedrich Ebert. Im Streit um die Kriegskredite im Reichstag spaltete sich die SPD. Die Mehrheits-Sozialdemokraten führte weiterhin Ebert, Haase trat 1916 zurück und gründete 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, deren Vorsitzender er wurde. An die Seite Eberts wählte die SPD den zur Mitte gerechnete Philipp Scheidemann.

Die beiden Vorsitzenden traten jedoch 1919 zurück, weil sie in der jungen Weimarer Republik hohe Ämter annahmen. Ebert wurde erster Reichspräsident und Scheidemann Reichskanzler. Ihre Nachfolger wurden Hermann Müller und Otto Wels. Wels übernahm die Führung der Parteiorganisation, Müller leitete die SPD-Fraktion.

Sogar drei Parteivorsitzende

1922 vereinigten sich SPD und USPD wieder und USPD-Vorsitzender Arthur Crispien wurde neben Müller und Wels zum dritten gleichberechtigten SPD-Vorsitzenden gewählt. Er übernahm im Triumvirat den Kontakt ins Ausland und engagierte sich in der Sozialistischen Arbeiter-Internationalen. Wels, der begnadete Organisator, bildete die „Eiserne Front“ gegen die Ausbreitung der NSDAP und sprach sich 1933 in seiner legendären Reichstagsrede für die SPD gegen das Ermächtigungsgesetz aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierte der autoritäre und charismatische Kurt Schumacher den Wiederaufbau der SPD von Hannover aus. Er legte Wert darauf, dass der Parteivorsitz in einer Person vereinigt wird. Er übernahm auch den Fraktionsvorsitz im Bundestag, um in den Auseinandersetzungen mit Bundeskanzler Konrad Adenauer eine bessere Ausgangsposition zu haben – und um die strikte Parteidisziplin durchzusetzen. Seither führte immer nur ein Vorsitzender die SPD.    

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