Pariser Kommune: 71 Tage, die die Welt veränderten
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Als der Aufstand am 18. März 1871 begann, da hieß die älteste der Parteien noch nicht SPD, sondern firmierte unter den Namen Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein und Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Aber in Paris begannen an diesem Morgen 71 Tage, die die Welt veränderten, und zwar von Grund auf: die Pariser Commune.
Bis heute hoch umstritten, gilt die Commune den einen als Fanal der Freiheit, anderen als illegaler, angeblich brutaler Umsturz. Auch die fortschrittliche Linke findet bei weitem keine einheitliche Bewertung der Ereignisse, viele Sozialdemokraten wissen wenig um den eigenen Anteil an dieser ersten Räterepublik. Ganz sicher ist, dass vor allem die Emanzipation der Frauen der kurzen, gerade zweimonatigen Periode einer gewählten Volksregierung in Paris extrem viel verdankt. Auch, weil Frauen ganz erheblich Anteil am ursprünglichen Aufstand, der folgenden parlamentarischen Arbeit, wie an der gescheiterten Verteidigung der Commune hatten. - Und auch den Blutzoll mittrugen.
Die deutsch-französische Vorgeschichte
Nach der Schlacht von Sedan war Kaiser Napoleon III. gezwungen zu kapitulieren. Der selbst angezettelte Krieg gegen Preußen war verloren. Deutsche Truppen standen vor Paris. Wilhelm I. ließ sich in Versailles zum deutschen Kaiser krönen. Nach den Wahlen vom 8. Februar 1871 wurde General Adolphe Thiers zum provisorischen Staatsoberhaupt Frankreichs erklärt. In Paris revoltierten seit der Niederlage Anfang September immer wieder Arbeiter gegen ihre unerträgliche Lebensumstände. „Bittere Armut an der Grenze zur völligen Mittellosigkeit“, urteilte darüber selbst Baron Haussmann, der Baumeister von Napoleon III. Die Lebenshaltungskosten waren höher als die Einkommen aus 11-stündiger Arbeit – von Erwachsenen und ihren Kindern. Diebstahl daher überlebensnotwendig.
Wegen der Revolten verlegte Thiers Regierung und Parlament nach Versailles. Die Pariser, ob republikanische Bürger, kleine Handwerker oder bettelarme Proletarier misstrauten den mehrheitlich monarchistischen Abgeordneten zutiefst. Im Krieg von General Thiers verheizt, nun hungernd und mit hohen Steuern für die Lasten der Kapitulation belegt, weigerten sie sich hinzunehmen, dass die Kanonen von Montmartre – dort, wo heute Sacre Coeur steht – abgezogen werden sollten. Ihre Angst: Thiers werde auf sie, die Menschen von Paris schießen lassen.
Über Paris wehen rote Fahnen
Und so begann die „Commune“, in dem die Menschen in den Arbeitervierteln von Montmartre, Belleville und Ménilmontant den Abtransport der Kanonen verhindern. Über ganz Paris wehen rote Fahnen. Das Zentralkomitee der Nationalgarde übernahm die Macht für genau eine Woche, und das auch nur, um unmittelbar für den 26. März Wahlen zum Gemeinderat von Paris, der „Commune“ einzuberufen.
Von den 92 Sitzen wurden 86 vergeben, weil sechs Personen in mehreren Stadtteilen Mandate errangen. Die 15 gewählten Monarchisten oder Thiers-Anhänger traten ihre Ämter nicht an. 33 Deputierte waren selbstständige Handwerker oder Händler, nur sechs Arbeiter. 17 Abgeordnete sahen sich als Vertreter der 1. Internationale an, die Mehrheit verstand sich als Liberale oder utopische Sozialisten.
Für die Freiheit, gegen die Monarchie
Gemeinsamkeiten gab es nur in der Frage, menschenwürdige Lebensverhältnisse zu schaffen und zweitens, die Freiheit von Paris notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen, und zwar sowohl gegen Preußen, wie gegen Versailles. Bezugspunkt waren die Revolutionsverfassungen von 1789 und 1848.
Die „Commune“ proklamierte das allgemeine Wahlrecht, die Gleichstellung von Männern und Frauen bei gleichem Lohn, die Trennung von Kirche und Staat und ein Verbot der Prostitution. Die Guillotine wurde zerstört, Witwen und Waisen (auch uneheliche) erhielten Pensionsanspruch. Von ihren Besitzern verlassene Fabriken konnten in die „kooperative Assoziation der Arbeiter“ überführt werden - die einzige sozialistische Reform. Für die Verstaatlichung etwa der Banque de France gab es keine Mehrheit.
Das Blutbad der franzöischen Armee
Doch der Aufstand blieb auf Paris begrenzt. Wenige Städte schlossen sich an und deren Revolte (außer in Lyon) wurde im Keim erstickt. In der „blutigen Woche“ vom 21.-28. Mai eroberte die hoch überlegene Armee von General Thiers Paris zurück, im Straßenkampf, Viertel für Viertel.
Blutig war der Kampf um Paris aber nicht in erster Linie wegen der 70 durch die Commune hingerichteten Kollaborateure oder der 100 Soldaten und der 900 Männer und Frauen, die auf den Barrikaden starben, sondern weil die Armee danach regelrecht wütete. 46.000 Menschen wurden willkürlich verhaftet, mehr als 10.000 nach Neu-Kaledonien deportiert und circa 20.000 Menschen erschossen.
So gedenkt Frankreich der Kommune
Seit dem 28. Mai 1991 erinnert eine Plakette, gestiftet von der Sozialistischen Partei Frankreichs, an die letzte Barrikade aus der temps des cerises, der Zeit der Kirschen, unweit des Attentats von 2015 auf den über die Landesgrenzen hinaus bekannt gewordenen Clubs Bataclan.
An einer Mauer in der hintersten Ecke des berühmten Friedhofs Père Lachaise endete am 28. Mai 1871 die Commune de Paris: 147 Kommunarden, Männer und Frauen, die letzten Kämpfer der ersten Räte-Republik, wurden hier ermordet und in Massengräbern verscharrt. Jedes Jahr findet am 28. Mai eine Demonstration zu Ehren derer statt, die an der Mauer der Kommunarden ermordet wurden.