Geschichte

NVA und Bundeswehr: „Friedliche Übernahme einer feindlichen Armee“

Die Ausstellung „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ dokumentiert die Vereinigung von zwei deutschen Armeen, die sich über Jahrzehnte hochgerüstet gegenüberstanden. Doch wie friedlich war die Übernahme der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr wirklich?
von Renate Faerber-Husemann · 6. Juli 2016
Der Kinderpanzer aus den 1970er Jahren der „Station junge Techniker und Naturforscher, Weißwasser“ kommt bei Paraden zum Einsatz.
Der Kinderpanzer aus den 1970er Jahren der „Station junge Techniker und Naturforscher, Weißwasser“ kommt bei Paraden zum Einsatz.

Die meisten Menschen hatten sich in den Zeiten vor und nach der Wiedervereinigung wenig Gedanken gemacht über einen  besonders sensiblen Bereich: Wie war das eigentlich mit der Vereinigung von zwei deutschen Armeen, die sich über Jahrzehnte hochgerüstet und waffenstarrend gegenüberstanden? Die Nationale Volksarmee (NVA) gehörte dem Warschauer Pakt an, die Bundeswehr der Nato. Die Bundeswehr hatte das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform (wenn auch teilweise eher in der Theorie), die NVA war eine ideologische Armee, die tief in das Privatleben ihrer Bürger eingriff. Schon im Kindergarten spielten Soldaten in Uniform mit dem Nachwuchs, in den Schulen gab es selbst für die unteren Klassen Manöver während der Ferienzeit. Wer studieren wollte, musste vorher zur Armee.

Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit

Im Bonner Haus der Geschichte ist zu diesem Thema (bis zum 12. Februar 2017) eine äußerst spannende Ausstellung „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ zu sehen. Zeitzeugen von damals berichten über die Zeit vor, während und nach der Vereinigung der feindlichen Brüder- und wenigen Schwestern. Selten oder zumindest im Westteil der Republik noch nie gesehene Objekte zeigen sehr sinnlich die Unterschiede. Beispielsweise ein Kinderpanzer, 700 Kilogramm schwer, montiert auf das Fahrgestell eines Trabis. Der rollte bei Paraden mit. Die Militarisierung der Gesellschaft lässt sich vielleicht gerade an solchen kleinen Beispielen drastisch festmachen. Professor Hans Walter Hütter, Präsident im Haus der Geschichte, sagte es deutlich: „Es war die friedliche Übernahme einer feindlichen Armee.“

Allerdings blieb von der NVA nicht viel übrig: Ende der 1980er Jahre hatte die NVA 168.000 Soldaten, übernommen in die Bundeswehr wurden 10.800 Berufs- und längerdienende Zeitsoldaten. Der größte Teil der Waffen, 93 Prozent, wurde zerstört. So war es in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen festgeschrieben worden. In der Ausstellung sind geschredderte Funkgeräte zu sehen, eine verbogene Kalaschnikow, ein abgesägtes Panzerrohr.

Streiks in den Kasernen

Die schwierigen Verhandlungen führten im Frühjahr und Sommer 1990 der westdeutsche Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und sein ostdeutscher Kollege Rainer Eppelmann, dessen Titel lautete: Minister für Abrüstung und Verteidigung. Es ging natürlich nicht so reibungslos wie das nach außen hin schien: Für die Übernahme einer Armee gab es ja weder Erfahrungen noch Vorschriften. „Im Sommer 1990 herrschte Chaos,“ so Professor Hütter. Die NVA war in keinem guten Zustand, das zeigt der Blick zurück auf die Jahre 1988 bis 1990. Die Moral und die Disziplin waren schlecht, wie auch das Ministerium für Staatssicherheit beklagte. Die Soldaten lehnten sich auf gegen massive „Arbeitseinsätze in der Volkswirtschaft“, sie protestierten gegen schlechte Verpflegung und schlechte Unterbringung. 1989 ist in einem Bericht des Stasi- Ministeriums von „Hetze des Gegners“ und Fahnenfluchten zu lesen. Junge Soldaten setzten sich über die ungarische Grenze in den Westen ab. Im Januar 1990 kam es zu Streiks in den Kasernen.

Auch bei der Bundeswehr gab es kritische Stimmen. So wird ein Oberstleutnant Hisso von Stelle zitiert, der damals unmutig fragte: „Mit welchem Recht erwarten Berufs- und längerdienende Zeitsoldaten der NVA, die jahrelang als überzeugte Kommunisten nicht unerhebliche Privilegien in der sozialistischen Gesellschaft genossen haben, eine Weiterverwendung in einer deutschen Armee?“ General Jörg Schönbohm, Befehlshaber Ost wiederum versuchte, die auf beiden Seiten aufgeladene Stimmung zu beruhigen: „Wir kommen nicht als Sieger oder Eroberer. Wir kommen als Deutsche zu Deutschen.“

Alte Feindbilder sind verschwunden

Am 2. Oktober 1990 um Mitternacht  war es vorbei. Der letzte Tagesbefehl von Rainer Eppelmann, dem Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, lautete ganz unpathetisch: „Sie sind ab 3. Oktober 1990, 00.00 Uhr Soldaten bzw. Zivilangestellte der Bundeswehr.“

Und heute? Die alten Feindbilder wurden überraschend schnell überwunden, in der Rückschau gesehen ein kleines Wunder. In den letzten Jahren laufen die Debatten durch die zunehmend gefährlichen internationalen Einsätze vom Kosovo über Afghanistan bis Mali völlig anders.Es gibt viel Kritik, aber keine „Frontlinien“ zwischen Ost und West, eher gemeinsame Besorgnis. Die „Armee der Einheit“, wie sie im Herbst 1990 genannt wurde, ist keine Floskel, sondern Realität.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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