Als das österreichische Thronfolgerehepaar am 28. Juni 1914 in Sarajewo ermordet wurde und Serbien am 23. Juli das Ultimatum erhielt, wuchs die Kriegsgefahr dramatisch. Den Kriegsgegnern blieb
eine letzte Hoffnung: Geleitet von den Friedensresolutionen der 2. Internationale würden die Arbeiterparteien Druck auf die nationalen Regierungen ausüben, um den Krieg zu verhindern. Am 25. Juli
1914 rief der SPD-Vorstand im Vorwärts zu Friedenskundgebungen auf ("Der Weltkrieg droht! ....Wir wollen keinen Krieg!"), an denen bis zum 30. Juli eine halbe Million Kriegsgegner teilnahmen.
Doch stärker als der Friedenswille der Arbeiterbewegung war vor 90 Jahren der nationalistische Größenwahn, vor allem der antidemokratischen Machteliten in Deutschland.
In Deutschland waren die Sozialdemokraten, obwohl stärkste Partei (34 Prozent) und stärkste Reichstagsfraktion (110 Mandate), politisch ohnmächtig und als ,,vaterlandslose Gesellen"
diffamiert. Der Krieg stürzte sie in ein tragisches Dilemma: Trotz ihres Friedenswillens glaubten sie, ihre Regierung im Krieg unterstützen zu müssen. "Die vaterlandslosen Gesellen (werden) ihre
Pflicht erfüllen", erklärte Friedrich Stampfer am 1. August. Der Parteivorsitzende Hugo Haase, der in der Fraktionssitzung am 3. August für die Ablehnung der Kriegskredite gestimmt hatte,
begründete am historischen 4. August im Reichstag die Zustimmung der SPD: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich."
Ablehnung der Kriegskredite
Vielen Sozialdemokraten fiel es leichter, den Kriegskrediten zuzustimmen, weil das zaristische Rußland zu Deutschlands "Feinden" gehörte. Aber die Zustimmung schwand. Bei der Abstimmung am
4. August 1914 hatten sich die Gegner der Kriegskredite der Fraktionsdisziplin noch gebeugt. Am 2. Dezember stimmte Karl Liebknecht gegen die Kriegskredite. Als immer deutlicher wurde, dass
Deutschland einen Eroberungskrieg führte, waren auch andere immer weniger bereit, sich der Fraktionsdisziplin zu unterwerfen.
Im Juni 1915 veröffentlichten der Parteivorsitzende Hugo Haase, der marxistische Parteitheoretiker Karl Kautsky und der Revisionist Eduard Bernstein den Aufruf "Das Gebot der Stunde":
Angesichts der offen propagierten "Eroberungspläne" müsse die Sozialdemokratie "ihren gegensätzlichen Standpunkt" betonen und für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen eintreten. Unter
ausdrücklichem Verweis auf die Eroberungspläne stimmten 20 SPD-Abgeordnete im Reichstag am 2. Dezember 1915 gegen die Kriegskredite. Als sie im März 1916 wieder gegen die Fraktionsdisziplin
verstießen, wurden sie aus der Fraktion ausgeschlossen. Im April 1917 wurde in Gotha die "Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (USPD) gegründet.
Gründung der USPD
Doch nicht nur die USPD, auch die MSPD (Mehrheits-SPD) forderte, den sinnlosen Krieg durch einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen zu beenden. Diese Forderung verabschiedete der
Reichstag in der "Friedensresolution" am 19. Juli 1917 mit den Stimmen von MSPD, Zentrum und linksliberaler Fortschrittspartei. Doch die alten Machteliten Deutschlands kämpften weiter verblendet
für ihren "Sieg-Frieden". Am Ende zwangen die Kriegsgegner Deutschland ihren "Sieg-Frieden" auf.
Der 1. Weltkrieg trug zur Spaltung der Arbeiterbewegung bei und damit zur Schwächung der Demokratie, zum Aufstieg des Faschismus und Kommunismus. Die deutschen Machteliten "nutzten" die
Katastrophe des 1. Weltkriegs, um den noch verheerenderen 2. Weltkrieg vorzubereiten. 90 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkriegs hat die Osterweiterung der EU am 1. Mai 2004 endgültig bestätigt,
dass die Völker Europas die richtigen Konsequenzen aus den mörderischen europäischen Bruderkriegen gezogen haben und dass die vor hundert Jahren nur von den Sozialdemokraten konsequent
vertretenen Vorstellungen über Frieden und Völkerverständigung zur Mehrheitsmeinung geworden sind.