Die absehbare Wirkung einer Großen Koalition ist eingetreten: Alle, die nicht drin sind, werden stärker. Die beiden Volksparteien sind schwächer geworden, besonders die SPD. Vor der Versuchung, die große Koalition fortzusetzen, sind wir nun gefeit. Die Stabilität unserer Republik wird langfristig am besten gesichert, wenn die beiden Volksparteien, mit Hilfe kleiner Partner, sich in der Regierung ablösen. So lange die eine Gruppe gut arbeitet, wird sie wieder gewählt, wenn nicht, kann die "Ablösung" zeigen, ob die anderen es besser können. Unter diesem Gesichtspunkt ist die schwarz-gelbe Koalition keine Katastrophe, sondern die Voraussetzung für eine stabile Republik.
In Zukunft eine Koalition links von der Mitte
Wir haben jetzt eine Koalition rechts von der Mitte. Die SPD muss eine Koalition links von der Mitte anstreben. Willy Brandt hatte diese Vorstellung. Sie ist höchst aktuell. Ohne Verankerung
mit der Mitte kann keine Partei das Land führen.
Die Erörterungen zur Regierungsbildung fanden statt, als ob es nur vier Parteien gäbe. Diese Haltung ist gerechtfertigt, solange die Linke sich selbst ausschließt. Diese Haltung wird auch
2013 gerechtfertigt bleiben, wenn die Linke bis dahin regierungsunwillig auf der Bundesebene bleibt oder unfähig, dafür die Voraussetzung zu schaffen. Die Voraussetzung dafür ist nachlesbar und
überprüfbar ein Programm, durch das sie sich auf die Grundlage geschlossener Verträge unseres Staates stellt. Das gilt vor allem für die EU und die NATO.
Wir haben die Einheit unseres Landes rechtlich für Währung, Infrastruktur und Wirtschaft trotz bekannter Mängel und Schönheitsfehler erreicht. Aber politisch wird die Einheit erst erreicht
werden, wenn aus dem Vier-Parteien-System ein Fünf-Parteien-System wird. Das kann nur die Linke selbst schaffen. So lange sie das nicht will oder kann, trifft sie die Verantwortung für die
mangelnde politische Einheit unseres Landes. Das ist eine der spannendsten Fragen der neuen Legislaturperiode.
Die Verantwortung der Linkspartei
Natürlich auch für die SPD. Es geht dabei um die Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft, in der uns auf der einen Seite die CDU hält, indem sie die Linke verketzert und auf der anderen
Seite die Linke, in dem sie mit Sirenentönen die SPD lockt, sich zu "resozialdemokratisieren". Aber selbst wenn viele Sozialdemokraten große innen- und sozialpolitische Schnittmengen mit der
Linken sehen, sogar, wenn diese Schnittmengen 100 Prozent betrügen, könnte die SPD ohne die genannte Voraussetzung der Linken nicht helfen, aus ihrer bequemen selbstgewählten populistischen
Protesthaltung herauszukommen. Denn:
Die SPD bleibt auch in der Opposition eine Partei der Verantwortung für die internationale Solidität und Berechenbarkeit unseres Landes.
Die andere Orientierung der SPD ist ihre Glaubwürdigkeit. Kein Schaubild war am Wahlabend so alarmierend wie die Darstellung der Ehrlichkeit, die die Bevölkerung den einzelnen Parteien
zumisst. Da schnitten die Grünen am besten ab, gefolgt von der FDP, dann kam die Union, die SPD lag an vorletzter Stelle, vor dem Schlusslicht der Linken. Unsere Zuverlässigkeit darf nicht länger
bezweifelt werden.
Gerechtigkeit groß schreiben
Wir haben den Deutschland-Plan beschlossen, einmütig, der unsere Vorstellungen bis zum Jahr 2020 beschreibt. Gerade weil er Substanz hat, lässt er sich nicht auf kurze Slogans reduzieren. Die
Zeit war zu kurz, ihn der gesamten Bevölkerung zu erläutern und bewusst zu machen. Nichts würde unsere Glaubwürdigkeit verheerender verletzen, wenn die Partei den Deutschland-Plan diskutiert, als
ob dieser Plan bis 2020 nur eine Attraktion für den Wahlkampf gewesen wäre. Das Gegenteil stimmt. Da gibt es Punkte, die sind nicht populär, oder Punkte, in denen die Gerechtigkeit nicht groß
genug geschrieben wurde, was man eingestehen muss und ändern kann. Aber insgesamt ist der Plan das Ergebnis sorgfältiger Überlegung. Die Partei darf nicht vom Unbequemen abrücken.
Die Ost- und Entspannungspolitik war am Anfang weder in der Partei noch in der Bevölkerung populär. Willy entschied: "Wir machen es, weil wir es für richtig und nötig halten. Lieber mit
wehenden Fahnen untergehen, als in die Knie gehen". Die Haltung von Verantwortung und Glaubwürdigkeit ist in dieser historischen Dimension wieder gefragt.
war Bundesminister für besondere Aufgaben und Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.