Geschichte

Mythos der Waschkörbe

von Heike Meyer-Schoppa · 1. Juli 2008
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Und wir diskutieren sie doch immer noch, die Frage der Gleichberechtigung: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Krippenplätze, Mutterrolle, Frauenbild… 60 Jahre nach der Wuppertaler Reichsfrauenkonferenz der SPD hat die Bundesrepublik zwar eine Kanzlerin, vom "revolutionären Entwurf" aber, den die Sozialdemokratinnen 1948 diskutierten, wissen selbst die Genossinnen dieser Tage nichts. Es gibt eine Erinnerungslücke in der so­zialdemokratischen Geschichtsschreibung, eine fortbestehende Diskrepanz zwischen den Verdiensten der sozialdemokratischen Frauenarbeit vergangener Zeiten und ihrer Anerkennung heute!

Dr. jur. Elisabeth Selbert, in den 80er Jahren dem Vergessen entrissen, ist heute als eine der vier "Mütter des Grundgesetzes" und "große Anwältin der Gleichberechtigung" bekannt. Sie stand jedoch keineswegs, wie es uns der Mythos vom frauenpolitischen Aufbruch nach 1945 glauben machen will, als einsame Frauenrechtlerin isoliert im Parteigeschehen. Den aus der nachträglichen Sicht konstruierten Coup eines letzten gemeinsamen, Parteigrenzen sprengenden Aufbäumens der Frauen nach 1945 zur Verankerung der Gleichberechtigung im Grundgesetz hat es nie gegeben.

Und so waren es weder "Waschkörbeweise erfolgte Eingaben an den Parlamentarischen Rat", denen wir seit 1949 die Garantie des Grundrechtes auf Gleichbe-rechtigung von Männern und Frauen verdanken, noch mysteriöse Kräfte, die unsere Ahninnen nach 1945 befielen und dann ebenso mysteriös plötzlich wieder verließen.

Angst vor der Unmoral

Auch 1948 war die Welt zumindest in Bezug auf das politische Engagement von Frauen so, wie wir sie bis heute kennen. Die Verhältnisse aber waren insofern zugespitzt, als sich der Alltag um ein Vielfaches schwerer bewältigen ließ.

Versorgungsmangel bei fast allen Gütern des täglichen Bedarfs, Währungsreform, Berlin-Blockade - das waren die zentralen Themen in den westlichen Besatzungszonen. Der sogenannte "Frauenüberschuss" führte insbesondere im bürgerlichen Lager zur Sorge um den moralischen Verfall breiter Volksmassen. Und so argumentierte man dort leidenschaftlich gegen die rechtliche Gleichstellung des unehelichen Kindes, sah die "christliche Familie" bedroht und fürchtete vor allem die Unmoral der deutschen Frau.

Es empfiehlt sich, dem Geist der Zeit selbst nachzuspüren, wenn man zu

einer angemessenen Würdigung sozialdemokratischer Frauenarbeit gelangen will. Die Korrespondenz Herta Gott-helfs, zentrale Frauensekretärin beim Parteivorstand von 1946 bis 1958, mit führenden Funktionärinnen im Vorfeld der Organisation der Wuppertaler Reichsfrauenkonferenz, enthält immer wieder Hinweise auf die ungeheure Arbeitsbelastung und auf (drohende) Zusammenbrüche von Genossinnen bei gleichzeitigem Ringen mit Genossen um die Anerkennung ihrer Arbeitsleistungen.

Die Forderungen der Frauen

Die Wuppertaler Reichsfrauenkonferenz vom 7. bis 9. September 1948 fand nur wenige Tage vor dem Düsseldorfer Parteitag der SPD und nur eine Woche nach der Aufnahme der Arbeit des Parlamentarischen Rates statt. In der stark zerstörten Stadt wurden die frauenpolitischen Positionen der SPD festgelegt,

die bei der Schaffung eines künftigen Staates von zentraler Bedeutung sein sollten.

Nicht mehr betreitbar war den Genossinnen die Gleichberechtigung. Eindrücklich demonstrierten sie, was sie darunter verstanden:

- Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches,

- Abschaffung der "Versorgungsehe",

- Widerstand gegen die neu erstarkte "Doppelverdiener"-Kampagne,

- Gleichstellung des unehelichen Kindes,

- Recht der Frau auf Arbeit und auf gleichen Lohn,

- Recht auf Wohnraum auch für alleinstehende Frauen und Mädchen.

Viele ihrer Forderungen standen im direkten Gegensatz zu den Positionen auch und insbesondere der Frauen aus den konservativen Parteien. Ihre Umsetzung aber würde davon abhängen, wie viele Wähler und Wählerinnen von den Zielen der SPD überzeugt werden könnten. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass vor allem die Frauen erreicht werden müssten, denn sie stellten den Großteil der Wahlbevölkerung. An die Adresse der Genossen war daher die Forderung gerichtet, die Frauenarbeit der Partei eindeutiger zu unterstützen.

Für die in Wuppertal formulierten Ziele kämpften Elisabeth Selbert und Friederike Nadig auch im Parlamentarischen Rat - und mit ihnen viele, heute namentlich kaum noch bekannte Funktionärinnen, wie Herta Gotthelf, im Hintergrund. Die Gleichberechtigung verdanken wir Selbert also nicht, obwohl, sondern weil sie Sozialdemokratin war. Es wäre Zeit für die Partei, sich dieses Umstandes bewusst zu werden!

Denn auch das bedeutet Gleichberechtigung: Die Verdienste der Genossinnen anerkennen, um endlich auch der frauengeschichtlichen Dimension der Parteitradition die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihr gebührt.

In den Osten geguckt

Eine Formulierung im Entwurf für die DDR-Verfassung war Vorbild für den Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes. Auf der Wuppertaler Konferenz wurde keine juristische Fassung der Gleichberechtigungsforderung für die Arbeit im Parlamentarischen Rat (PR) erarbeitet.

Allerdings verwiesen die Berliner Genossinnen Elisabeth Selbert in Wuppertal auf den SED-Entwurf für eine neue Verfassung. Frieda Nadig brachte daraufhin

im Grundsatzausschuss des PR als zweiten SPD-Antrag ein: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Diese Formulierung, die heute in der westdeutsch geprägten Wahrnehmung als Selbertsche Formulierung kursiert, war bereits in dieser oder ähnlicher Form in einigen ostdeutschen Länderverfassungen verankert und auch die Verfassung der DDR, die am 22.10.1948 veröffentlicht worden war, enthielt die Formulierung "Mann und Frau sind gleichberechtigt."

Elisabeth Selbert setzte sich im Hauptausschuss medienwirksam für "ihre" Formulierung ein. Ihr engagiertes Wirken wurde in den letzten Jahren vielfach hervorgehoben - wie wichtig die von Herta Gotthelf im Hintergrund gesteuerte Presse- und Eingabenkampagne war, ist dagegen weitestgehend unbekannt.

Foto: Ullsteinbild

Die vier Mütter des Grundgesetzes (v.l.):

Helene Wessel (Zentrum), Helene Weber (CDU), Friederike Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD).


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