Romantischer geht es kaum. Gleichsam an den südlichen Hängen des Siebengebirges gelegen findet man am Mittelrhein das typische Rheinstädtchen Unkel. Mit seinen pittoresken Fachwerksträßchen und der autofreien Rheinpromenade mit Fernblick auf den Rolandsbogen und den Drachenfels ist die kleine Rotweinstadt der Inbegriff der Rheinromantik. Kein Wunder, dass sich hier auch ein berühmter Roter niederließ: Willy Brandt.
1979 war er nur wenige Jahre nach seiner Kanzlerschaft mit seiner späteren Ehefrau Brigitte Seebacher hierher gezogen. Er selbst wählte Unkel wie schon andere berühmte Persönlichkeiten wie etwa der bekannte Schriftsteller Stefan Andres zu seiner Wahlheimat. Hier war er wohl zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben Bürger unter Bürgern. In Unkel fühlte er sich nach eigenen Worten wohl. Nun ist an seinem Wohn- und Sterbeort eine Gedenkstätte entstanden, die den Altbundeskanzler und einzigen deutschen Friedensnobelpreisträger wieder ein kleines Stück lebendig werden lässt. Das besondere daran ist, dass es sich um ein Ehrenamtsprojekt handelt.
Ein rein ehrenamtliches Projekt
Nach dem Umbau der ehemaligen Sparkassenfiliale inmitten der historischen Altstadt ließ die Bürgerstiftung Unkel mit dem Willy-Brandt-Forum ein spannendes Museum zur
Zeitgeschichte entstehen. Neben den vom Land Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellten öffentlichen Mitteln in Höhe von rund 800.000 Euro konnten Eigenmittel in Höhe von 300.000 Euro in Form von
Spenden von vielen Verehrern Brandts aus ganz Deutschland und darüber hinaus gesammelt werden.
Entstanden ist auf über 300 Quadratmetern eine Dauerausstellung auf hohem Niveau. Garant dafür ist der Ausstellungsmacher und ehrenamtliche Kurator des Willy-Brandt-Forums Dr. Jürgen Reiche. Im Hauptberuf Ausstellungsdirektor des Bonner Hauses der Geschichte führt er den Besucher mit seinem narrativen Konzept durch Willy Brandts Zeit nach seiner Kanzlerschaft, also die Unkeler Jahre. Da war er vor allem als Weltmann und Staatsbürger international unterwegs und er war eben auch ein Bürger unter Bürgern in Unkel.
In diese Zeit viel auch die Erfüllung seines Lebenstraums: Die Einheit Deutschlands. Auf dem Weg von Unkel nach Berlin notierte er sich am 10. November 1989 im Flugzeug einer britischen Militärmaschine die Worte "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört." Den Mantel, den er damals am Brandenburger Tor trug, findet man neben zahlreichen weiteren originalen Exponaten in der Ausstellung.
Dazu gehört gleich zu Beginn der Bundestagssitz Nummer 5, auf dem Willy Brandt im alten Bonner Plenarsaal neben Herbert Wehner saß. Beeindruckend ist der originale Gipsabdruck der Bronzeplatte in Warschau zum Gedenken an Brandts Kniefall. Eine Besucherin aus Polen war bei dem Anblick derart gerührt, dass sie in Tränen ausbrach.
Egon Bahr, Bruno Kreisky und Günter Grass
Es finden sich Erinnerungsstücke an Weggefährten wie Egon Bahr, Bruno Kreisky oder Günter Grass. Immer wieder werden thematische Abschnitte durch Bild und Ton lebendig gemacht
und, unterstützt durch die Ausstellungsarchitektur des bekannten Potsdamer Ausstellungsarchitekten Professor Fiebelkorn-Drasen, in Szene gesetzt. Hierzu zählen beispielsweise ein
nachempfundenes Stück Berliner Mauer oder auch eine große Weltkarte, in der auf Monitoren Szenen mit Willy Brandt auf seinen Auslandsreisen zu sehen sind. Da wird manche Erinnerung wieder wach.
Zum Beispiel als es Willy Brandt gelang, durch geschickte Verhandlungen mit Saddam Hussein 1990 rund 200 westliche Geiseln ohne Blutvergießen aus dem Irak zu befreien.
Herzstück der Ausstellung aber ist das originale Arbeitszimmer von Willy Brandt aus seinem Wohnhaus in Unkel. Liebevoll wurde es rekonstruiert, die Bücher so aufgereiht, wie sie bei seinem Tode standen. Am Schreibtisch steht seine Aktentasche, auf der Schreibtischplatte liegen Brille und Stift, als wenn er nur mal kurz hinausgegangen wäre.
Adios, amigo Willy
Bewegend sind auch Egon Bahrs Worte im nächsten Ausstellungsbereich, mit denen er in einem kurzen Film von seiner letzten Begegnung mit seinem Freund an dessen Sterbebett
erzählt. Und natürlich dürfen auch die Abschiedworte des früheren spanischen Ministerpräsidenten Felipe González nicht fehlen, die dieser bei der Trauerfeier im Berliner Reichstagsgebäude
sprach: Adios, amigo Willy. In einem kleinen Kino wird anschließend ein 45minütiger Dokumentarfilm über Willy Brandt geboten. Weiter führt der Rundgang in den sogenannten Multifunktionsraum, in
dem künftig Vorträge und Wechselausstellungen veranstaltet werden.
Auch das Untergeschoss des Stiftungsgebäudes ist Teil der Dauerausstellung. Hier ist die Porträtgalerie angesiedelt, in der man Bilder und Fotos hochkarätiger Künstler vorfindet. Gemälde von Thiemann, Heisig und Meistermann sowie eine Bronzeplastik von Marx zeigen verschiedene künstlerische Sichtweisen auf den berühmten Politiker. In einer Fotogalerie ausgehend von dem bekannten Bild Kennedys zwischen Brandt und Adenauer vor dem Brandenburger Tor werden Fotos der beiden wohl bedeutendsten deutschen Bundeskanzler gegenübergestellt. So sind hier Arbeiten u.a. von McBride, Darchinger, Schafgans und Lebek versammelt.
Film- und Tondokumente
Zum Schluss gelangt der Besucher in den Tresorraum der ehemaligen Sparkasse, der den Unkelern in einer art musée sentimental gewidmet ist. Unkeler erzählen hier davon, wie sie
Willy Brandt in seinem Wohnort erlebt haben. Spannend ist die Gestaltung der ehemaligen Schließfächer. Zieht man an den Schlüsseln, öffnen sich die Schließfächer, hinter denen Film- und
Tondokumente sowie Originalobjekte verborgen sind.
Hier liegen die Schere, mit dem die Unkeler Friseurin Willy Brandt einst die Haare schnitt, oder auch passend zum Rheinland die Karnevalsorden, die er 1974 bei seinem letzten
Prinzenempfang im Bonner Kanzleramt verliehen bekam.
In einer benachbarten Fotowand sind Kläppchen verteilt, hinter denen sich Antworten auf 15 Fragen an Willy Brandt verbergen. Auf die Frage "Was ist Ihr Lieblingsgetränk" erhält
man seine Antwort "Ein guter Roter". Ein besonderes Highlight ist die Möglichkeit, eine digitale Postkarte mit dem eigenen Foto kostenlos über das Internet zu versenden. Dabei kann man den
Hintergrund mit einem Motiv aus Unkel sowie ein weiteres Motiv mit Willy Brandt auswählen. Die erste digitale Postkarte verschickte gleich Felipe González in seine spanische Heimat.
Felipe González eröffnete
Willy-Brandt-Forums im März 2011
Felipe González war es auch, der die Rede im März 2011 zur Eröffnung des Willy-Brandt-Forums in Unkel hielt. Er wünschte dem Forum, dass es ein Ort des Dialogs und der
Begegnung werde und sagte seine Unterstützung zu. Rund fünfhundert Gäste aus nah und fern waren gekommen, um die Bürgerstiftung Unkel zu ihrem gelungenen Projekt zu beglückwünschen. Unter den
zahlreichen prominenten Festgästen war natürlich an der Spitze der rheinland-pfälzische Landesvater Kurt Beck.
Die deutsche Sozialdemokratie war mit ihrem Bundesvorsitzenden und damit Brandts Nachfolger in diesem Amt Sigmar Gabriel vertreten. Eine Rede mit Einblicken in die nach ihren Worten glücklichen Unkeler Jahre hielt Prof. Dr. Brigitte Seebacher, die dem Stiftungsvorsitzenden Thomas Ottersbach Willy Brandts letzten grünen Filzschreiber für die Ausstellung übergab. Für die Familie war auch der älteste Sohn Prof. Dr. Peter Brandt gekommen. Eine besondere Überraschung war die Anwesenheit des mittlerweile 100jährigen Klassenkameraden Hans Dreyer. Er hatte 1932 mit Willy Brandt in Lübeck Abitur gemacht.
www.willy-brandt-forum.com
Schon in den ersten Wochen seit der Eröffnung zeigt sich, dass das Willy-Brandt-Forum vor allem für Besuchergruppen interessant ist. Schulklassen, Volkshochschulen, SPD-Ortsvereine,
Seniorengruppen, Reiseveranstalter und viele mehr interessieren sich für einen Besuch des kurzweiligen neuen Museums zur Zeitgeschichte. Viele wählen dabei als rheinische Art der Anreise eine
Fahrt mit dem Schiff aus Bonn oder Koblenz unter dem Motto "Mem Bötche zum Willy."
Die ersten Gruppenführungen hat der stellvertretende Stiftungsvorsitzende Rudolf Barth übernommen. Als ehemaliger CDU-Fraktionsvorsitzender im Unkeler Stadtrat zeigt er, dass es in diesem Projekt nicht um Parteipolitik sondern um bürgerschaftliches Engagement nicht zuletzt auch zugunsten einer touristischen Belebung der Unkeler Innenstadt geht. Er wird unterstützt von dem Bonner Gymnasiallehrer Rudolf Rupperath, der sich ehrenamtlich um den Ausbau und den didaktischen Aufbau der Gruppenführungen kümmert.
Aktiv dabei sind aber auch über 25 ehrenamtliche Museumsbetreuer, die es möglich machen, dass das Willy-Brandt-Forum in der Saison 2011 an sieben Tagen der Woche geöffnet sein kann. Das Willy-Brandt-Forum in Unkel ist damit ein herausragendes Ehrenamtsprojekt am Mittelrhein, das einen Besuch allemal wert ist. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.willy-brandt-forum.com.
Der Autor Thomas Ottersbach ist Vorsitzender des Willy-Brandt-Forums in Unkel.