Geschichte

Marek Edelmann und der polnische Widerstand

von Michael Berger · 6. Oktober 2009
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Marek Edelmann nahm auch am Aufstand der Polnischen Heimatarmee im Spätsommer 1944 teil. Edelmann blieb in Polen, arbeitete nach dem Krieg als Kardiologe und engagierte sich in den 80er Jahren in der Gewerkschaft Solidarnosc. Von 1989 bis 1993 war er Abgeordneter im Sejm und erhielt zahlreiche hohe Auszeichnungen. Seine Lebensgeschichte ist Zeugnis des Widerstandes gegen die Nazi-Okkupation in Polen.

Der Widerstand gegen die Nationalsozialisten im besetzten Polen bleibt durch zwei Ereignisse im historischen Gedächtnis Europas: Am 19. April 1943 begann der bewaffnete Aufstand der jüdischen Bevölkerung im Warschauer Ghetto, am 1. August 1944 erhob sich die polnische Heimatarmee, die Armia Krajowa (AK), gegen die deutschen Truppen in Warschau.

Deutsche Kriegsverbrechen und der Freiheitskampf des polnischen Widerstandes

Will man die Geschichte des europäischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus nicht nur aus dem Blickwinkel der "nationalen Befreiung" betrachten, muss dies auch eine neue Bewertung des Warschauer Ghettoaufstandes zur Folge haben: Er steht - über seine Einzigartigkeit in der Geschichte des Widerstandskampfes des jüdischen Volkes hinaus - gleichbedeutend neben dem Aufstand der polnischen Heimatarmee gegen die Naziokkupation in Polen.

1942 schrieb Ignacy Schwarzbart, Mitglied des polnischen Exil-Nationalrats, in sein Tagebuch, es würden Informationen über die Verbrechen an den Juden zurückgehalten, weil die Polen "die Verdunkelung polnischer Leiden durch jüdische Leiden" nicht zulassen wollten. Dieser "Wettstreit um die Gloriole des Leidens" prägte vor allem die polnische Geschichtsschreibung der Nachkriegsjahre und fand seine Fortsetzung in der Relativierung des jüdischen Widerstands in Polen auf einen Kampf bewaffneter Zivilisten. Tatsächlich jedoch gehörten jüdische Soldaten zur Tradition im polnischen Militär. 1939 gab es in der polnischen Armee 150.000 jüdische Soldaten und Offiziere bis in die höchsten Ränge. Dementsprechend schlossen sich jüdische Offiziere und Soldaten sowohl dem Bund für den bewaffneten Kampf (ZWZ) und der hieraus im Februar 1942 entstandenen Armia Krajowa als auch der durch die Sowjetunion unterstützten kommunistischen Volksgarde/Volksarmee (GL/AL) an.

Der Kampf im Ghetto: Sie ließen sich nicht "wie ein Lamm zum Schlachten" führen!

Am 19. April 1943 erhoben sich die jüdischen Kämpfer gegen die drohende Liquidation des Ghettos durch SS- und Polizeieinheiten unter Führung des SS-Generals Jürgen Stroop. Der Aufstand wurde von zwei Widerstandsgruppen getragen: der aus linksorientierten Gruppierungen entstandenen jüdischen Kampforganisation ZOB unter der Führung von Mordechai Anielewicz und dem von rechten Zionisten und Reserveoffizieren sowie Unteroffizieren der polnischen Armee gebildeten Jüdischen Militärverband ZZW - gemeinsam nannten sie sich Jüdischer Kampfbund.

Das im Oktober 1940 eingerichtete Ghetto - dorthin wurden mehr als 500.000 Menschen verschleppt - wurde ab Juli 1942 auf Befehl Heinrich Himmlers durch Deportation der Insassen in die Vernichtungslager schrittweise aufgelöst. Die jüdischen Kämpfer leisteten gegen die drohende Deportation mit den wenigen zur Verfügung stehenden Waffen erbitterten Widerstand und fügten der SS schwere Verluste zu. Anielewicz, der Stab und über 100 Kämpfer der ZOB starben am 8. Mai, nachdem ihr Kommandobunker in der Milastraße 18 von den Deutschen entdeckt worden war. Der Widerstand hielt jedoch noch bis zum 16. Mai an. Die SS brannte das Ghetto nieder, zerstörte die Häuser und ermordete die Überlebenden. Nur wenigen gelang die Flucht, unter ihnen einige führende Mitglieder des ZOB-Stabes: Marek Edelman, Zivia Lubetkin und Hirsch Berlinski, die alle drei auch am Warschauer Aufstand vom Spätsommer 1944 teilnahmen.

Der SS-General Stroop berichtete in seiner letzten Tagesmeldung vom 16. Mai 1943: "Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet. (...) Gesamtzahl der erfassten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56.065."

Einen ausführlichen Beitrag vom Autor Michael Berger finden Sie als pdf.-Datei mit dem Titel "Warschauer Aufstände" im Anhang.

Der Kniefall Willy Brandts
Einer der bewegendsten Momente in der deutschen Nachkriegspolitik erinnert uns an den Kampf im Ghetto - der Kniefall des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt vor dem Mahnmal für die Opfer des Aufstandes im Dezember 1970. Diese einzigartige Geste Willy Brandts aber auch die Ansprache des Bundespräsidenten Roman Herzog im August 1994 anlässlich des Gedenkens an den 50. Jahrestag des Aufstandes der polnischen Heimatarmee waren eine öffentliche Demonstration der Demut als auch der geschichtlichen Verantwortung der Bundesrepublik für die deutschen Verbrechen in Polen.

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