Geschichte

Luise Zietz: Wie sie die erste Frau im SPD-Parteivorstand wurde

Heute vor 100 Jahren starb Luise Zietz. Sie war die erste Frau im SPD-Parteivorstand und hatte nicht nur gegen die Vertreter*innen konservativer Parteien und der bürgerlichen Frauenbewegung zu kämpfen, sondern auch gegen die eigenen Genossen.
von Gisela Notz · 26. Januar 2022

Luise Zietz, geb. Körner, war eine der wichtigsten Wegbereiterinnen der sozialistischen Frauenbewegung. Während der Reichstagssitzung am 26. Januar 1922 bekam sie mitten im Sitzungssaal einen Ohnmachtsanfall, ein Herzinfarkt, wie sich später herausstellte. Ihre Genoss*innen trugen sie aus dem Saal, fuhren sie mit dem Auto nach Hause und brachten sie von dort ins Urban-Krankenhaus, wo sie am Morgen des 27. Januar im Alter von nur 57 Jahren starb.

Sie regte den Internationalen Frauentag mit an

Die USPD-Zeitung „Freiheit“ schrieb in ihrer Abendausgabe, dass sie, die der Bewegung unendlich viel zu verdanken habe, „mitten im Kampfe“ gefallen sei. Die weiblichen Abgeordneten beschlossen, ihr gemeinsam einen Kranz zu spenden. „Wenn einst unsere Enkel der großen Vorkämpfer des Sozialismus aus unserer Zeit gedenken werden, dann werden sie unter den ersten Namen auch den unserer Luise Zietz nennen,” sagte Ihr Freund Wilhelm Dittmann, der mit ihr im Reichstag saß, bei seiner Trauerrede. Dennoch ist sie heute beinahe vergessen.

Dabei hatte sich Luise Zietz, die am 25. März 1865 in Bargteheide in eine arme Weber- und Heimarbeiterfamilie hinein geboren wurde, in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, nach der Schule im Alter von 14 Jahren als Dienstmädchen, Kindermädchen, Arbeiterin in einer Tabakfabrik malochte und später den Beruf der Kindergärtnerin gelernt hatte, schon früh in der SPD und im Fabrikarbeiterverband engagiert. Bald entwickelte sie ein herausragendes rhetorisches und agitatorisches Talent und forderte während des Hamburger Hafenarbeiterstreiks 1896/97 die Frauen auf, ihre Männer beim Streik zu unterstützen. 1907 gründete sie in Stuttgart die Sozialistische Fraueninternationale mit und 1910 war sie bei der 2. Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen eine derjenigen, die den Internationalen Frauentag mit anregte, der dann erstmalig am 19. März 1911 mit großem Erfolg durchgeführt wurde.

Parteilich für die Arbeiterinnen

Sie kämpfte für Gleichberechtigung, bessere Arbeitsbedingungen, gewerkschaftliche Organisierung der Frauen, sexuelle Selbstbestimmung, Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch (StGB), den Acht-Stunden-Tag und die Durchsetzung des Frauenwahlrechts. Vor dem Ersten Weltkrieg war sie eine entschiedene Kriegsgegnerin. Ihre Anti-Kriegsposition vertrat sie stets im SPD-Vorstand und im Parteiausschuss, dem sie ebenfalls angehörte. Sie wurde Mitarbeiterin der SPD-Frauenzeitung „Die Gleichheit“ und schrieb einen ganzen Stapel von Broschüren zu frauen- und familienpolitischen Themen.

Dazwischen lag ein langer, steiniger Weg, denn Frauen in der Arbeiterbewegung hatten viele Widerstände zu überwinden. Als Politikerin musste sie nicht nur gegen die Vertreter*innen konservativer Parteien und die der bürgerlichen Frauenbewegung, sondern auch gegen ihre eigenen Genoss*innen kämpfen. Und das nicht nur im Kaiserreich, sondern auch während der Weimarer Republik. Immer wieder erlebte sie, dass ihre frauenpolitischen Anträge im Parteivorstand aufgeschoben oder abgelehnt wurden. Sie ließ sich nicht beirren und agitierte parteilich für die Arbeiterinnen, bei denen sie sich aufgrund ihrer kämpferischen Haltung einer großen Beliebtheit erfreute.

Erste Frau im SPD-Parteivorstand

Bereits 1908 konnte sie im Parteivorstand eine Quotierung durchsetzen. Im Organisationsstatut der SPD hieß es nun: „Die weiblichen Mitglieder sind im Verhältnis zu ihrer Zahl im Vorstand vertreten. Doch muss diesem mindestens eine Genossin angehören“. Diese Person war Luise Zietz. 1914 erschien ihre Schrift „Gewinnung und Schulung der Frauen für die politische Betätigung“.

Luise Zietz stand bis 1916 für die Linientreue zur Sozialdemokratischen Partei, die bis dahin in der sozialdemokratischen Frauenbewegung dominiert hatte. Nachdem sie 1915 einen „Offenen Brief“ gegen die Kriegspolitik der SPD-Parteiführung unterschrieben hatte und Sprecherin einer Deputation Berliner Genossinnen geworden war, die Kritik an der Politik der Parteiführung übte, verbot ihr diese, während der Dauer des Krieges Vorträge zu halten. Nun musste sie ihre politische Tätigkeit illegal fortführen.

Für die USPD im Deutschen Reichstag

1917 beteiligte sie sich an der Gründung der USPD und schloss sich deren Frauenbewegung an. Sie arbeitete unermüdlich weiter für die Belange der Arbeiterinnen. 1919/1920 wurde sie für die USPD in der verfassungsgebenden Nationalversammlung und anschließend als Abgeordnete in den Deutschen Reichstag gewählt, wo sie die Partei bis zu ihrem Tode vertrat. Der Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) berichtete später, dass „beide Richtungen der Sozialdemokratie vor der Bahre der opferbereiten Führerin“ dankbar ihre Fahnen gesenkt hätten.

Autor*in
Gisela Notz

ist Historikerin und war bis 2007 wissenschaftliche Referentin im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung und Lehrbeauftragte an vd. Universitäten. Sie lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin und gibt seit 2003 den Kalender „Wegbereiterinnen“ mit 12 Frauenbiografien der emanzipatorischen Bewegungen heraus.

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