Hamburg, 2. bis 6. September 1946: In der Elbschlossbrauerei gründen 84 Delegierte, darunter 15 Frauen, aus westdeutschen Universitätsstädten den "Sozialistischen Deutschen Studentenbund"
(SDS). Die gut organisierte Hamburger Gruppe hatte den Gründungskongress angeregt; zu ihr gehörten der Widerständler und Deserteur Heinz-Joachim Heydorn, 30, der Flak- Oberleutnant und
Kriegsgefangene Helmut Schmidt, 27, der Pilot Willi Berkhan, 31, sowie Helga Timm, 22, aus aktiv sozialdemokratischer Familie oder Wolfgang Zeidler, 22, mit bürgerlich-oppositionellem Hintergrund.
Hamburg wurde Sitz des SDS und Heydorn einer der beiden Vorsitzenden. Auch andernorts wurde der SDS zum gemeinschaftsbildenden Zentrum, so in München mit der ersten Vorsitzenden Beatrice Reventlow,
20, der Tochter des Spanienkämpfers Rolf Reventlow, oder in Göttingen mit dem im Krieg schwer verwundeten Peter von Oertzen, 22, dem bald der Flakhelfer und Fallschirmjäger Horst Ehmke, 19, zur
Seite stand. Auch aus Frankfurt am Main, Berlin, Mainz, Marburg, Münster hatten sich Delegierte eingefunden.
Fast alle Männer gehörten zur "Frontgeneration", manche trugen noch den "abgeschabten Offiziersledermantel", wie Helmut Schmidt sich selbst beschrieb. Sie hatten schon im Krieg erkannt, dass
sie für eine verlorene Sache standen und nun mussten sie auch noch "das ganze Ausmaß der Verbrechen, unserer Verführung und unserer Schande erkennen". Dazu sahen sie sich meist mit Professoren
konfrontiert, denen sie mit diesen Ansichten weit überlegen waren. Nur vereinzelt waren schon jüngere dabei, die die ganze Hitler-Jugend-Erziehung absolviert hatten. Die meisten von ihnen blieben
daher erst einmal "abseits" stehen.
An die bis 1933 bestehende "Sozialistische Studentenschaft Deutschlands und Österreichs" konnten sie nur noch über einzelne Persönlichkeiten anknüpfen. So betraten die meisten Neuland, zumal
das Büro Schumacher erst einmal zurückhaltend reagierte und der Weg zum SDS eine Bewegung 'von unten' wurde. Was die SDS-Gründer unter "freiheitlichem demokratischen Sozialismus" verstanden, war
noch etwas dürftig: ein wenig Marx und marxistische Tradition, etwas ethischer, etwas religiöser Sozialismus. Aber Kurt Schumacher, der auf dem Gründungskongress sprach, zog sie alle in seinen
Bann: Dessen Formel von der Einheit von Nation und Sozialismus leuchtete ein, motivierte dazu, zu beginnen, 'die Schande' vorwärts gerichtet aufzuarbeiten. Schumacher rief ihnen zu, sie sollten
sich nicht als "Genosse Intelligenz" aufführen, sondern als "bluterfüllte lebendige Menschen" das, was sie sich erarbeiteten, "in die breiten Massen" hinaustragen. Verfolgt man so manchen
Lebensweg, so verstanden die meisten, was Schumacher von ihnen erwartete.
Der frühe SDS wird von seinen Historikern als "parteikonformer Studentenverband" bezeichnet. In der Tat wollte man zwar offen sein für alle Richtungen, aber das passive Wahlrecht sollte
abhängig sein von der Zugehörigkeit zur SPD. Na und? Nur die SPD war nach 1945 die Partei, die sich um einen demokratischen Sozialismus bemühte, der diesen Namen verdiente. Der SDS war parteiloyal,
das sollte man aber nicht mit Parteikonformität verwechseln (auch heute nicht). Innerhalb des Verbands gab es von Anfang an inhaltliche Kontroversen. So liest man in den Protokollen von kräftigen
Auseinandersetzungen z.B. zwischen Peter von Oertzen und Helmut Schmidt, der 1947 zum nächsten aus Hamburg stammenden Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Innovative Kraft zeigten nicht erst die
Spätergeborenen.
Von Helga Grebing aus vorwärts 09/2006
*Die Historikerin Helga Grebing war Professorin in Göttingen und Bochum. Sie ist Mitglied der Historischen Kommission der SPD.
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