Geschichte

„Konterrevolutionäre Verbrecher“

von Carl-Friedrich Höck · 14. September 2011
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"Wir wollten Frieden, aber auch Freiheit", sagt Lothar Otter mit lauter Stimme. Freiheit liegt ihm am Herzen, dafür setzte er sich schon als Jugendlicher ein - und musste mit seiner eigenen bezahlen. Sechs Jahre verbrachte er zwischen 1949 und 1955 in Haft in Bautzen, weil er für die sozialistische Jugendorganisation "Die Falken" Flugblätter mit einem Rosa-Luxemburg-Zitat verteilt hatte: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden".

Otter sitzt auf einem Podium in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin, als er das erzählt. Seine Geschichte ist wie viele andere in der Ausstellung "Der Verfolgung ein Gesicht geben: Sozialdemokraten in der SBZ/DDR 1945-1961" dokumentiert. Auf 15 Tafeln schildert sie die Schicksale von Sozialdemokraten, die sich der kommunistischen Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später in der DDR widersetzten. Produziert wurde sie von dem Archiv der sozialen Demokratie der FES und dem Forum Ostdeutschland der Sozialdemokratie.

Arbeiter-Einheit war Illusion

"Viele Sozialdemokraten sind 1946 mit Selbstvertrauen und Illusionen in die SED eingetreten", erinnert Mike Schmeitzner von der Technischen Universität Dresden während der Ausstellungseröffnung. Sie hätten die Arbeiterbewegung einen und das Misstrauen der Besatzungsmacht abbauen wollen. Da sie den Kommunisten personell überlegen waren, seien sie zudem davon ausgegangen, dass sich die Ex-SPDler in der SED mit ihren Vorstellungen durchsetzen würden. Ein fataler Irrtum: "Bald war klar, dass Sozialdemokraten in der SED nur geduldet werden, wenn sie ihre Vergangenheit verleugnen", resümiert Schmeitzner.

Nach dem Zusammenschluss von SPD und KPD zur SED im April 1946 drängten die Kommunisten in der neuen Partei an die Macht, gestützt von den sowjetischen Besatzern. Schnell besetzten sie den Großteil der Führungspositionen. 1948 erklärte sich die SED offen zu einer "Partei neuen Typus" nach sowjetischem Vorbild und gab bekannt, dass sozialdemokratisches Gedankengut "ausgemerzt" gehöre. Ganze Gruppen von aktiven Sozialdemokraten wurden in der SBZ daraufhin verhaftet und als "konterrevolutionäre Verbrecher" in Lagerhaft gesteckt.

Manche Sozialdemokraten passten sich den neuen Verhältnissen an und machten in der SED Karriere - wie Otto Grotewohl, der 1949 erster Ministerpräsident der DDR wurde. Viele zogen sich enttäuscht aus der Politik zurück oder emigrierten aus der sowjetisch besetzten Zone. Doch einige wehrten sich auch gegen die Ausschaltung sozialdemokratischer Werte, gründeten Gruppen, druckten Flugblätter oder illegale Zeitungen und schmuggelten Material des Ostbüros der SPD in die SBZ.

Verbot der Ost-Berliner SPD: "ein Schock"

Zu den Widerständigen gehörte auch der Berliner Helmut Hampel, Jahrgang 1936. Er trat 1953 in die SPD ein, die aufgrund des Viermächteabkommens in Ost-Berlin noch bis 1961 existieren durfte - wenn auch ohne jede Möglichkeit, bei einer Wahl anzutreten. Nach dem Mauerbau wurden die Kreisbüros der SPD in Ostberlin aufgelöst, und die SPD entband ihre Ost-Berliner Genossen von ihrer Mitgliedschaft. "Das war ein Schock, wir wollten doch etwas bewegen", erzählt Hampel während der Ausstellungseröffnung. Kurz darauf forderte die Stasi von Hampel, eine Erklärung zu unterschreiben, dass er den Mauerbau unterstütze. Er weigerte sich. "Man kann auch etwas tun, indem man nichts tut", begründet er seine Entscheidung. Seine Kontakte zum Ostbüro der SPD hielt Hampel bis zum Mauerfall aufrecht, trotz Repressionen und Überwachung durch die Stasi.

Für Wolfgang Tiefensee, den Vorsitzenden des Forums Ostdeutschland der Sozialdemokratie, sind Menschen wie Hampel und Otter Vorbilder: "Nur dann, wenn es ganz konkrete Menschen mit Rückgrat und Zivilcourage gibt, die ihren Job, ihre Gesundheit und vielleicht sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, wird es möglich sein, die Demokratie zu bewahren." An einige dieser Menschen will die Ausstellung über verfolgte Sozialdemokraten erinnern. Zu sehen ist sie noch bis zum 14. Oktober in der Galerie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die Ausstellung " Der Verfolgung ein Gesicht geben. Sozialdemokraten in der SBZ/DDR 1945-1961" kann noch bis zum 14. Oktober in der Galerie der Friedrich-Ebert-Stiftung besucht werden: Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin. Öffnungszeiten: 8 bis 19 Uhr. Von Mai bis Juli war die Ausstellung bereits in der Gedenkstätte Bautzen und im August im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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