Klaus Wowereit: „Der Satz hat mein Leben verändert.“
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Vor 20 Jahren sagten Sie auf dem Parteitag der Berliner SPD: „Ich bin schwul und das ist auch gut so.“ Später haben Sie den Satz als den wichtigsten Ihres Lebens bezeichnet. Sehen Sie das auch heute noch so?
Ja. Dieser Satz hat eine wichtige Bedeutung in meinem Leben und hat es auch verändert. Er hat aber auch das Leben von vielen anderen verändert. Das war mir damals in dem Moment natürlich gar nicht so bewusst.
Die Ereignisse im Juni 2001 haben sich nach dem Bruch der großen Koalition in Berlin überschlagen. Warum war es Ihnen wichtig, sich vor Ihrer Wahl zum Regierenden Bürgermeister und dem anstehenden Wahlkampf zu outen?
Es war damals eine sehr schwierige politische Situation in Berlin. Es kriselte an allen Ecken und Enden der Stadt. Als die große Koalition platzte, gelang es der SPD glücklicherweise, sich aus der babylonischen Gefangenschaft der CDU zu befreien. Voraussetzung war aber die Abwahl von Eberhard Diepgen mit den Stimmen der PDS, was zumindest für West-Berlin ein Tabubruch war. Aufgrund dieser Gemengelage hatte ich das Gefühl, es könnte ein sehr schwieriger Wahlkampf werden, in dem auch meine private Situation instrumentalisiert werden könnte. Deshalb wollte ich bei denjenigen, die mich als Bürgermeister-Kandidaten nominieren, für Klarheit sorgen. Als ich in der Abgeordnetenhaus-Fraktion gesagt habe, ich sei schwul, gab es erst riesen Beifall und dann eine einstimmige Nominierung.
Ihr berühmter Satz „Ich bin schwul und das ist auch gut so“ fiel dann einige Tage später auf dem Landesparteitag der SPD.
Viele haben mir geraten, es nicht zu tun. Es war ja auch ein hohes Risiko, weil niemand wusste, wie die Leute reagieren würden. Aber das Ganze hatte schon vor dem Parteitag eine ganz eigene Dynamik gewonnen. Viele Schwusos sind gleich losgelaufen und haben stolz berichtet, dass der Bürgermeisterkandidat offen schwul ist. „queer“ hat es als Ticker gemeldet und auch die „Frankfurter Rundschau“ hat berichtet. Dann verdichteten sich die Hinweise, dass Boulevardzeitungen extra Reporter abstellen wollen, um in der Szene zu recherchieren, um irgendetwas Schmuddeliges zu finden. Das habe ich kurz vor dem Parteitag erfahren und mich dann entschieden, es auch auf dem Parteitag zu sagen. Was ich genau sage und wie ich es sage, war mir aber bis zu meiner Rede selbst nicht klar. Das kam aus dem Bauch heraus.
Viel spekuliert worden ist ja über den Zusatz „und das ist auch gut so“.
Das hätte ich auch anders formulieren und z.B. sagen können: Dafür muss ich mich nicht rechtfertigen. Aber so wie ich es gesagt habe, entspricht es mir am ehesten. Es gab hinterher noch Leute, die das „auch“ analysiert haben und sich gefragt haben, was ich denn wohl damit sagen wollte. Das hatte aber keine besondere Bedeutung.
Die Reaktionen waren durchweg positiv. Im Anschluss wurden Sie in zahlreiche Talkshows eingeladen. Haben Sie damit gerechnet?
Nein. Wir haben ja vorher auch keine Abwägung gemacht, was passiert, wenn ich etwas sage oder eben nichts sage. Das war zeitlich gar nicht möglich. Ich bin aber sehr froh, dass es so gelaufen ist. Letztlich war es eine Frage von Glaubwürdigkeit und ein Akt der Befreiung, der diejenigen, die meinten, etwas instrumentalisieren zu müssen, in die Schranken gewiesen hat. Und klar, mein Bekanntheitsgrad ist dadurch enorm in die Höhe gegangen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ohne mein Outing wäre ich ein eher unbekannter Landespolitiker der SPD gewesen.
War Berlin gerade die richtige Stadt dafür?
Berlin hat da sicher eine wichtige Rolle gespielt. Es ist die größte Stadt in Deutschland und eine Metropole, die seit Jahrhunderten eine liberale Haltung pflegt. In einer kleineren Stadt wäre solch ein Outing vor 20 Jahren sicherlich deutlich schwieriger gewesen.
Nach Ihnen haben sich auch andere Spitzenpolitiker geoutet, etwa Guido Westerwelle oder Jens Spahn. Fühlen Sie sich da als Wegbereiter?
Mein Outing vor 20 Jahren hat sicherlich den Damm gebrochen. Bei Guido Westerwelle war es auch noch nicht ganz leicht. Ole von Beust hat seinen Vater für sich sprechen lassen. Heute ist das aber zum Glück alles viel leichter. Mir geht ja immer das Herz auf, wenn ich die Oberbürgermeister von Wiesbaden und Mainz mit ihren jeweiligen Partnern beim Karneval im Fernsehen sitzen sehe. Das zeigt mir, wie sich die Gesellschaft verändert hat.
In anderen Bereichen, etwa im Sport, ist offene Homosexualität dagegen immer noch schwierig. Woran liegt das?
Gerade der Fußball ist tatsächlich noch ein Tabu-Bereich. Auf Thomas Hitzlsperger, der sich ja auch erst nach seiner aktiven Zeit geoutet hat, ist leider niemand gefolgt. Wenn man sich aber überlegt, dass der Ausdruck „Du schwule Sau“ bei Jugendlichen eins der gängigsten Schimpfwörter ist, ist das auch wenig verwunderlich. Wie soll in solch einem Umfeld jemand die Kraft finden, sich zu outen? Ähnliches gilt für den Wirtschaftsbereich. Eine Frauenquote für Vorstände ich wichtig, aber auch Homosexuelle dürfen sich nicht verstecken müssen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.
Was kann und sollte Politik da tun?
Die Politik muss die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass Diskriminierung nicht mehr passiert. Da hat sich durch die Ehe für alle und die Möglichkeit der Adoption ja auch schon eine Menge getan. In der Frage der Geschlechterdefinition ist noch einiges offen. Mindestens genauso wichtig ist aber, die gesetzlichen Möglichkeiten mit Leben zu füllen. Und das kann nur eine offene, liberale Gesellschaft tun. Da ist nicht die Community gefragt, sondern die Mehrheitsgesellschaft, damit niemand diskriminiert wird.
Das Interview erschien anlässlich des 20. Jahrestags von Wowereits Outing am 9. Juni 2021.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.