Geschichte

Kein Arbeiterschriftsteller

von Dorle Gelbhaar · 8. September 2008
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Die männlichen Mitglieder der Familie lebten von schwerer körperlicher Arbeit. Auch er ergriff einen solchen Beruf. Meuselwitz, die Stadt seiner Geburt, existierte vom Kohlebergbau und in diesem fand auch er sein Auskommen. Damit hatte er in den Augen der Gesellschaft einen ordentlichen Lebenswandel. Schließlich gab es in der DDR die Pflicht zur Arbeit. Berufen fühlte er sich jedoch zum Schriftsteller. Von ihm Geschriebenes kam zunächst jenseits der DDR-Grenze im S. Fischer Verlag an die Öffentlichkeit, später auch - von Franz Fühmann unterstützt - in der DDR selbst. Die Besonderheit des Schreibens Wolfgang Hilbigs, gleich, ob es sich um Lyrik oder Prosa handelte, wurde von Literaturkennern geschätzt. Kein Arbeiterschriftsteller -warum? Seiner Herkunft und dem langjährig ausgeübten Hauptberuf entsprechend hätte Hilbig gut in das DDR-offizielle Idealbild vom schreibenden Arbeiter gepasst. Doch er wollte sich nicht als Arbeiterschriftsteller verstanden wissen, wenngleich er über viele Jahre seinen Lebensunterhalt als Heizer verdient und Pausenzeiten während dieses Jobs zum Schreiben genutzt hatte. Man kann dies als Protest gegen jeden möglichen Versuch der Vereinnahmung verstehen und auch als Hinweis auf das Versimpelnde eines solchen Etiketts, das schließlich suggerieren konnte, der Schreiber sei in seiner Eigenart durch die Zugehörigkeit zur Klasse der Arbeiter geprägt und spiegele deren Wirklichkeit und deren Sicht auf das Leben. Hilbig sah kritisch auf das, was ihn umgab. Er hatte eine ganz eigene Sicht, die von vielem beeinflusst war, auch von der Weltliteratur, die er in Arbeitspausen und Freizeit intensiv studierte. Eine Literaturwissenschaftlerin und ihre Sicht auf Hilbig Karen Lohse (Jahrgang 1977) stammt ebenfalls aus dem mitteldeutschen Raum. Ihre Heimststadt Borna liegt auf halber Strecke zwischen Leipzig und Chemnitz. Den Dichter Wolfgang Hilbig wählte die Literaturwissesnschaftlerin, die vor ihrem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie Groß- und Außenhandelskauffrau gelernt hat, zum Thema ihrer Magisterarbeit. Auch ihre Dissertation drehte sich um Hilbig - da geht es speziell um sein Bergwerksmotiv. Nun hat sie sich hineingedacht in die Schichtungen des Hilbigschen Schreibens und dies mit biografischen Untersuchungen verbunden. Dabei setzt das Biografische bei ihr schon an, bevor Hilbig geboren wurde. Sie nähert sich dem Raum, in dem er groß wird, analysiert das, was Bergwerke mit Landschaft und Menschen machen. Sie schreibt über die Haltung des Dichters zu "seiner" Stadt Meuselwitz und über das, was die Stadt mit ihm machte. Das persönliche Umfeld des Dichters Hilbig fand Zugang zu einem Kreis junger Dichter, die in einer Wohnung Lesungen veranstalteten. Diesen fühlte er sich verbunden, versuchte ihnen zu helfen, nachdem er selbst den Zugang zum S. Fischer Verlag gefunden hatte und in der DDR vor allem von Franz Fühmann unterstützt wurde. Die Interviews am Ende des Buches, die Karen Lohse mit verschiedenen Zeitgenossen Hilbigs führte, zeichnen ein sehr persönliches Bild vom Menschen Hilbig und wie dieser seiner Umwelt erschien. Auch nach seiner Ausreise aus der DDR zog es ihn immer nach Meuselwitz zurück. Die innere Zerrissenheit blieb. Das Buch macht neugierig auf die Hilbigschen Texte. Dorle Gelbhaar Karen Lohse "Wolfgang Hilbig. Eine motivische Biografie", Plöttner Verlag Leipzig GbR 2008, 144 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-938442-44-9

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Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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