Käte Strobel: Sie wollte Politik nicht allein den Männern überlassen
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Die sozialliberale Koalition hatte 1969 gerade die Arbeit aufgenommen, da stellte die „Wochenschau“ in einem Beitrag die neue Regierung Willy Brandts vor. Wie schon in der Großen Koalition war nur eine Frau mit von der Partie: Käte Strobel. Der Filmausschnitt, der ihrer Person gewidmet ist, beginnt damit, wie sie im Mantel mit Handtasche und Stöckelschuhen, die auf dem Steinboden laut vernehmbar klacken, ihr Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit betritt. Das Kurzporträt stellt nicht nur die Person Käte Strobel vor, sondern auch die SPD-Politikerin als Symbol für die Teilhabechancen von Frauen in der Politik der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Rückblick auf das Leben der Sozialdemokratin 25 Jahre nach ihrem Tod erzählt also auch viel über die Geschichte der Geschlechtergerechtigkeit, obwohl oder gerade weil Käte Strobel sich nicht nur als Frauenpolitikerin verstand.
Ein politisches Leben im Zeitalter der Extreme
Laut einer Infas-Umfrage aus dem Jahr 1971 galt Käte Strobel als die seinerzeit bekannteste Politikerin in der Bundesrepublik. Die 1907 als Tochter eines Schuhmachers und seiner Frau in Nürnberg geborene Käte Müller war früh in der Arbeiterjugend der USPD aktiv gewesen und 1925 schließlich der SPD beigetreten. Ihr Ehemann Hans Strobel, ebenfalls ein aktiver Sozialdemokrat, wurde während des Nationalsozialismus im KZ Dachau inhaftiert und später als Mitglied eines Strafbataillons in den Krieg geschickt. Käte Strobels politische Laufbahn nahm nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die SPD wiederaufgebaut wurde und erfahrenes Personal gefragt war, eine rasante Entwicklung.
Der Einzug in den Bayerischen Landtag gelang ihr zwar nicht, aber sie sicherte sich einen Platz in den Strukturen der SPD in Franken und Bayern. 1949 zog sie als eine der wenigen Frauen in den Bundestag ein (ihr Anteil lag anfangs bei nur sieben Prozent) und gehörte diesem bis 1972 an. Das Jahr 1958 markierte einen weiteren Abschnitt ihrer politischen Karriere, als sie ein Mandat für das Europäische Parlament erhielt und in den Parteivorstand der SPD vorrückte. Bereits 1961 hatte sie Aussichten auf ein Ministeramt im Schattenkabinett Willy Brandts. Mit der Großen Koalition war es dann soweit: Als zweite Frau und erste Sozialdemokratin wurde sie – in der damals üblichen Bezeichnung – zum Bundesminister für das Gesundheitswesen ernannt.
Nachdem sie sich 1972 aus der Bundespolitik zurückgezogen hatte, blieb sie in Bayern weiterhin politisch aktiv, u.a. im Nürnberger Stadtrat.
Zwischen Frauenpolitik und der Feminisierung des Politischen
Als Mutter von zwei Töchtern (1938 und 1941 geboren) und Vertreterin einer weiblichen Minderheit auf dem Bonner Parkett stand Käte Strobel stets inmitten der für das 20. Jahrhundert prägenden Auseinandersetzungen um Geschlechterfragen. Wäre ihr Ehemann unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nach Hause zurückgekehrt oder niemals fort gewesen, so mutmaßte sie selbst in einem Interview in den 1980er Jahren, hätte sie womöglich auf den Gang in die Politik verzichtet. Während sie in ihren Bundestagsreden gerne ihre Expertise als Hausfrau herausstellte, führte sie als Abgeordnete ein für die Zeit eher ungewöhnliches Familienleben: Die politische Arbeit bedingte ihre tageweise Abwesenheit unter der Woche, wobei auch die Großeltern aushalfen. In späteren Jahren ermöglichte die Tätigkeit in Bonn die Gründung einer Familien-Wohngemeinschaft, als eine ihrer Töchter zum Studium in die Bundeshauptstadt zog.
Wer Strobel als frauenpolitische und mitunter feministische Vertreterin charakterisieren will, nutzt gerne das ihr zugeschriebenen Zitat: „Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte.“ Sie war in der Frauenarbeit der SPD aktiv und bemühte sich um frauenpolitische Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg. Frauenpolitik setzte sie nie mit Mütterpolitik gleich, wenngleich sie viele der Themen, die sie im Bundestag wie im Europaparlament vertrat – allen voran den Verbraucher*innenschutz – vom Privaten her dachte. Ihr wurde von der Forschung bescheinigt, Preispolitik wie Außenhandelsfragen zur Angelegenheit von Frauen gemacht zu haben. Allerdings war es umgekehrt auch so, dass sie die Wirtschaftspolitik konsequent für die Dimension des Privathaushalts und der Sorgearbeit sensibilisierte, noch bevor dies Wissenschaftler*innen theoretisch reflektierten.
Wie zweischneidig Strobel Geschlechterfrage und Frauenpolitik bisweilen empfand, zeigte sich besonders, als sie das Angebot erhielt, Bundesministerin zu werden. Eigentlich hatte sie als langjährig erfahrene Vertreterin Deutschlands im Europäischen Parlament gehofft, einem Europaministerium, das es indes nicht geben sollte, vorzusitzen. Das mit wenig Kompetenzen ausgestattete Gesundheitsministerium zu führen, sah sie dennoch als Chance, die sie als einzige Frau im Kabinett auf keinen Fall ungenutzt lassen konnte.
Eine Politik des Wissens für alle
Die Reform der Ausbildungsförderung, der Krankenhausfinanzierung und des Familienlastenausgleichs, die Verbesserung von Arzneimittelsicherheit und Verbraucher*innenschutz, der Ausbau der Gesundheitsvorsorge bei Schwangerschaft, Geburt und im Alter sind nur einige der Themen, die Käte Strobel beschäftigten und die sie mitprägte. Dabei wird ein wesentlicher Antrieb ihrer Politik deutlich: Der Zugang des Individuums zu Wissen über Politik, Gesellschaft, die eigene Gesundheit und Sexualität als Schlüssel und Ausdruck von Gleichberechtigung und Solidarität. Strobel war keine Akademikerin, hatte aber in jungen Jahren durchgesetzt, eine Handelsschule besuchen zu dürfen, und bezog aus der Jugend- und Arbeiterbewegung eine breite Allgemeinbildung.
Wie sehr sie davon überzeugt war, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur einer Elite vorbehalten sein, sondern allen zugänglich gemacht werden sollten, zeigte sich allgemein in ihrer Familienpolitik, besonders aber in dem im Auftrag ihres Ministeriums produzierten Aufklärungsfilm „Helga“, der in Westdeutschland und anderen Ländern als Kinoschlager Erfolg feierte. Sie gehörte zu den Politiker*innen, die allen Bürger*innen zutraute, Wissen annehmen und verarbeiten zu können, vor allem, wenn es um die für jede*n so wichtigen Themen wie Geschlecht, Sexualität und Identität ging. Wenn es in heutigen Diskussionen oft und nicht selten in paternalistischem Ton heißt, Politik sei zu akademisch und zu komplex für viele Wähler*innen, wünscht man sich gelegentlich mehr von diesem Zutrauen.
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ist Juniorprofessorin für Zeitgeschichte in europäischer Perspektive an der Universität zu Köln und Mitglied des Geschichtsforums der SPD.