Kanzlerwahl 1969 und 2021: Was Olaf Scholz und Willy Brandt verbindet
imago images/ZUMA/Keystone
Zuletzt war es bei „Willy“ so. Das war am 21. Oktober 1969. Unser Genosse Willy Brandt wurde Bundeskanzler. Da hat es gekribbelt. Nicht nur ein Hauch von Freude huschte über unsere jungen Gesichter. Ich war damals aktiv bei den Jusos und ein „echter“ Willy-Fan. Und so freuten wir uns und bei vielen flossen auch Tränen der Freude über die Wangen. Wir wussten: Jetzt beginnt für unser Land eine neue Zeit der Veränderungen. Bei „Olaf“ fließen zwar keine Tränen. Aber es kribbelt wieder.
Olaf Scholz wird in ein paar Tagen Bundeskanzler. Irgendwie erinnert mich das an die Tage im Oktober 1969. Willy Brandt war Außenminister, bewegte sich also im politischen Geschäft, das damals von Bonn aus getätigt wurde. Aber das war uns jungen Genossen zu wenig. Wir wollten, dass diese Bundesrepublik Deutschland von einem Genossen der SPD als Bundeskanzler regiert werden sollte. Uns dürstete nach Reformen. Die Studentenproteste lagen nur wenige Monate zurück. Die `68er-Bewegung hatte den Stein ins Rollen gebracht und die SPD zum politischen Kampf um die Macht wach gerüttelt. Willy war eine Hoffnung, er war ein Beweger. Und er wurde Kanzler. Alle Hoffnungen waren jetzt auf ihn gerichtet. So wie jetzt auf Olaf. Die Republik dürstet heute wie damals nach Erneuerung, Reformen, Mut und Zuversicht.
Das Gefühl, unser Land in besseren Händen
Und so habe ich in den letzten Tagen auch gefühlt. So wie zuletzt bei Willy. Nicht bei Helmut (Schmidt), nicht bei Gerhard (Schröder). Auch sie waren Genossen und wurden Bundeskanzler. Doch bei Willy, wie ihn alle voller Ehrfurcht und Bewunderung nannten, bei Willy Brandt war es anders. Gefreut haben wir uns alle. Jetzt wird alles besser, gerechter, auch schöner. Ein Gefühl war plötzlich da: Unser Land ist jetzt in besseren Händen. Und sollte moderner werden. “Wir wollen mehr Demokratie wagen” war kein loses Versprechen von Willy. Es war Kernsatz der neuen Politik. Dies war nicht nur eine Sache für das Verstehen, für den Kopf. Bei Willy verbanden sich Hoffnungen und Gefühle, Kopf und Seele zum „Einen“. Das hieß Gerechtigkeit. Dafür stand Willy.
Und bei Olaf Scholz habe ich jetzt wieder das ähnliche Gefühl: Jetzt wird es besser. Olaf ist anders als Willy. Doch eines haben beide gemeinsam: Der eine gab, der andere gibt uns das Gefühl, das Andere, das Neue, das Bessere nicht nur zu wollen, sondern auch erreichen zu können. Bei Willy fühlten sich viele Deutsche “zu Hause”. Bei Olaf Scholz geht es mir ähnlich. Es ist die Stimmung, die uns mitgehen lässt. Eine Stimmung, die viele von uns bei Willy das erste Mal spürten und die jetzt wieder da ist. Auch bei Willy waren wir ungeduldig. Wir wollten Veränderung, mehr Demokratie. Heute wollen wir „mehr Fortschritt“ wagen. Und die Demokratie stärken.
Der richtige Mann wird Kanzler
Mögen viele auch am Koalitionsvertrag herum nörgeln. Es ist eine Anleitung für eine bessere Politik, kein Protokoll, kein Arbeitszettel. So wie bei Willy Brandt seine Ostpolitik über allem schwebte, so gilt der Wunsch nach „mehr Fortschritt“ und besserer Klimapolitik als Leitlinie für eine bessere Politik. Demokratie und Fortschritt gehören zusammen. Olaf ist der richtige Mann mit einer guten Mannschaft, der dieses Gefühl zurückholt in eine neue Politik. Nichts geht so weiter wie bisher. Alles wird neu gedacht, anders formuliert und dann umgesetzt.
Willy Brandt wagte die neue Ostpolitik, die den Frieden sicherte und am Ende zur Einheit unseres Landes führte. Dieser Bundeskanzler machte Friedens – und Verständigungspolitik. Er fuhr nach Israel, kniete in Warschau, das Haupt geneigt vor den Opfern des Nazi-Terrors. Er wagte Schritte, die vielen mutig vorkamen, manchen auch erzürnten, aber er tat zur richtigen Zeit das Richtige.
Olaf Scholz: Mut und Zuversicht
Olaf Scholz verströmt eben dieses Gefühl: Mut und Zuversicht für die Zukunft zu haben. Nichts geht mehr so weiter wie bisher, aber alles geht voran, wenn wir den Geist von Willy spüren, den Olaf jetzt wieder zum Leben erweckt. Und der steht für: Neues wagen, nicht verzagen. Unser Land ist in guten Händen. Wie damals bei Willy – packen wir es an. Spüren wir den Geist von damals und erfüllen die Gegenwart mit Zuversicht, Hoffnung und Tatkraft. Deutschland in die Zukunft zu navigieren, heißt schwere Stürme zu durchfahren. Leinen los – Glück auf - auf geht`s!