Geschichte

Joschka erzählt von früher

von Gero Fischer · 18. Mai 2011
placeholder

Joschka Fischer steht in einer fast leeren Fabrikhalle. Von der Decke hängen Glaswände, auf die Videos projiziert werden. Es sind Videos aus den Jahrzehnten der deutschen Geschichte nach 1945. Auf der Glaswand vor ihm läuft ein Film aus den 50er Jahren, er zeigt Fischer als Ministrant bei einer Prozession in seinem schwäbischen Heimatdorf. Das Bild wechselt in den Vollbildmodus. Fischer beginnt zu erzählen, von seiner Kindheit im konservativen Fellbach bei Stuttgart, seinem katholischen Elternhaus. "Meine Eltern waren das, was man christdemokratisches Stammwählermilieu nannte. Ich bin nicht sicher, ob meine Mutter mich jemals gewählt hat."

So funktioniert der komplette Film. Der Protagonist geht durch die Halle und findet die wichtigen Ereignisse der Geschichte - seiner Geschichte - auf den Glaswänden um sich herum. Dazu berichtet und kommentiert er, wie er selbst die Ereignisse gesehen und erlebt hat.

Außenminister als Reiseleiter

Unterstützt wird er dabei von weiteren Zeitzeugen, die in Form von Exkursen zu Wort kommen. Darunter alte Weggefährten wie Daniel Cohn-Bendit. Zum Teil sind es einfach nur Freunde des Regisseurs Pepe Danquart wie die Band Fehlfarben oder Hans Koschnik. Sie ordnen ein und erklären das, was sich nicht aus Fischers Biografie ergibt. Es seien Personen, die wie Fischer ein wichtiger Teil unserer Geschichte sind, sagt Danquart.

Denn trotz seines Titels ist "Joschka und Herr Fischer" nicht nur eine filmische Biografie über den ehemaligen Außenminister. Vielleicht noch mehr ist es ein Dokumentarfilm über die 60-Jährige Geschichte der Bundesrepublik. Joschka Fischer ist der Reiseleiter und führt den Zuschauer auf seiner Reise durch die Jahrzehnte. Seine Biografie erweist sich als prädestiniert, um an ihr die westdeutsche Nachkriegsgeschichte abzuarbeiten. Gleichzeitig ist es diese besondere Geschichte, die eine Biografie wie die Joschka Fischers erst möglich gemacht hat.

Dabei bieten die Bilder allein dem Zuschauer nicht viel Neues, auch wenn der Film zum Teil noch nie gezeigte Archivaufnahmen zeigt. Die Stationen Fischers sind bekannt: Erst Sponti, dann Taxifahrer, hessischer Umweltminister und Außenminister. Auch die Ereignisse, die Regisseur Pepe Danquart aufgreift, überraschen den Zuschauer nicht: Die engen 50er Jahre, die Studentenrevolte, der RAF-Terror, die Anfänge der Grünen bis hin zur ersten Rot-Grünen Bundesregierung. Trotzdem sind die Bilder nicht willkürlich ausgewählt. Sie dienen dem Zweck, Fischer zum Erzählen zu bewegen. Und diesen Zweck erfüllen sie. "Plötzlich fängt er an, sich in die Zeit zu versenken, in die Zeit hineinzusinken, plötzlich platzen die Erinnerungen los", erklärt Danquart sein Konzept.

Kein normaler Dokumentartfilm

Es ist diese Erzählstruktur, die "Joschka und Herr Fischer" zu einem besonderen Film macht. Danquart hat keinen normalen Dokumentarfilm gedreht, in dem sich Archivmaterial und Zeitzeugen abwechseln und dem Zuschauer ein Bild der Historie liefern. Er stellt seinen Zeitzeugen wortwörtlich mitten ins Archivmaterial und lässt ihn seine eigene Geschichte erzählen. Fischer tut dies mal selbstironisch, mal nachdenklich.

Auch für den Zuschauer ergeben sich auf diese Weise neue Erkenntnisse. Zum Beispiel über die berühmte Turnschuhvereidigung in Hessen, das Sinnbild für die Respektlosigkeit der jungen Grünen gegenüber dem Establishment. Fischer dazu: "Ich hätte lieber andere Schuhe angezogen. Aber es musste sein, das wurde ausführlich diskutiert." Eine Macht habe dieses Symbol bis auf den heutigen Tag, das sei unglaublich.

Derartige Anekdoten, vom Protagonisten selbst erzählt, machen "Joschka und Herr Fischer" sehenswert und unterhaltsam zugleich. Wenn Fischer eigentlich immer schon unterhaltsam war, steht ihm die neue Gelassenheit, mit der er auf das eigene Wirken zurückblickt, gut zu Gesicht.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare