Hitlers Krieg gegen das eigene Volk
„Wir verstehen uns als Stachel im Fleisch der Erinnerungsgesellschaft“, sagt Peter Steinbach, wissenschaftlicher Berater der Stiftung „Topographie des Terrors“. Erst vor wenigen Wochen haben zehntausende Menschen am Brandenburger Tor in Berlin den 25. Jahrestag des Mauerfalls gefeiert. Es war ein Freudentaumel. Nun will die Stiftung an den Auslöser der Teilung erinnern: an die Niederlage Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg. Hitler und seine Anhänger haben ihn selbst entfesselt. Dass Deutschland besiegt werden könnte, war in ihrer Ideologie nicht vorgesehen.
„Wir kapitulieren nicht, niemals. Wir können untergehen, aber wir werden eine Welt mitnehmen“, sagte Adolf Hitler 1945. Das Zitat ist der Ausgangspunkt der Ausstellung „Deutschland 1945. Die letzten Kriegsmonate“, die an diesem Montag eröffnet wurde.
Hitler waren die Deutschen egal
Der Krieg war zu diesem Zeitpunkt für die Wehrmacht schon aussichtslos geworden. Anfang 1945 war Aachen von den US-Amerikanern besetzt, die Rote Armee rüstete sich für die Schluss-Offensive. Die Ausstellung thematisiert „die letzten fünf Monate der Zerstörung, des Chaos, des Zusammenbruchs der staatlichen Institutionen, aber vor allem des Terrors“, erklärt die Kuratorin Claudia Steur das Konzept.
Von Anfang an richtete sich der Terror der Nationalsozialisten nicht nur gegen das Ausland, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung. Es konnte jeden treffen, der nicht in die von den Nazis definierte „Volksgemeinschaft“ passte: Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende. Bis zuletzt wurde diese Mordmaschinerie aufrecht erhalten, wurden KZ-Häftlinge auf „Todesmärsche“ geschickt. 1945 richtete sich der Terror verstärkt auch gegen diejenigen, auf die Hitler eigentlich die deutsche Weltherrschaft hatte gründen wollen. Sein Befehl lautete: Kampf bis zum letzten Blutstropfen. Faktisch bedeutete das: An einem Überleben des deutschen Volkes nach seiner Kriegsniederlage war Hitler nicht interessiert. „Sein Volk war ihm egal“, sagt Claudia Steur.
Auch in Deutschland verbrannte Erde
Jugendliche und alte Männer wurden zum „Volkssturm“ eingezogen, Städte zu Festungen erklärt (und die dort lebenden Frauen und Kinder vertrieben), Brücken und Lebensmittellager auf dem Rückzug gesprengt. Eine Politik der verbrannten Erde erschwerte es den Menschen, in den von den Allierten eroberten Gebieten zu überleben. Wer sich für eine kampflose Übergabe von Dörfern oder Städten aussprach, konnte als Verräter hingerichtet werden – und wurde es vielfach auch. Umgekehrt endeten die aussichtslosen Versuche, Städte noch zu verteidigen, meist in deren völliger Zerstörung. Sogenannte Werwolf-Kommandos machten Jagd auf alle, die unter Verdacht standen, kampfesmüde zu sein.
„Der Krieg wurde von der Führung ab Dezember 1944 gegen das eigene Volk geführt“, sagt der Historiker Peter Steinbach. „Jeder, der besonnen war, wurde von der Führung brutal verfolgt.“
Wie die Menschen in Deutschland diese Zeit erlebt haben, will die Ausstellung exemplarisch darstellen. Wichtig ist den Ausstellungsmachern die Feststellung, dass es nicht nur die eine Geschichte dieser Zeit gibt. „Jeder hat das Kriegsende auf eine andere Art und Weise erlebt“, sagt die Kuratorin Steur. „Wir arbeiten mit Gegensätzen und wollen Handlungsspielräume des Einzelnen aufzeigen.“
Wehrmacht musste Brücken voller Flüchtlinge sprengen
Tatsächlich ziehen sich die Gegensätze durch die Ausstellung in der Berliner Niederkirchnerstraße. So schildert eine Tafel die Geschichte der Brücke von Remagen: Entgegen ihrem Befehl verzichteten fünf Wehrmachts-Offiziere darauf, sie zu sprengen, bevor sie den Amerikanern in die Hand fiel. Der Grund: Die Brücke war verstopft mit Flüchtlingen. Die Offiziere wurden daraufhin zum Tode verurteilt. In einer ähnlichen Situation ließen die Befehlshaber zwei Tage später eine Brücke bei Urmitz sprengen. „Dutzende von Körpern und die Trümmer von Lastwagen wurden hochgeschleudert und über eine weite Strecke verstreut“, schilderte später ein Augenzeuge die Szene.
Es ist eine beeindruckende Ausstellung, auch wenn sie auf Originalobjekte verzichtet. Lediglich einige Hörstationen und Computerbildschirme ergänzen die Bild- und Texttafeln, die spiralförmig angeordnet sind und so die Dynamik aus Terror und Zusammenbruch versinnbildlichen sollen. Die Texte sind kurz und pointiert – manchmal zu kurz. Umso mehr empfiehlt sich ein Blick in den Ausstellungskatalog, der die dargestellten Beispiele einordnen hilft.
Sichtbar wird auch, dass es trotz der staatlichen Repressionen Menschen gab, die sich den Befehlen der Nazi-Führung widersetzten: Generäle, die kapitulierten; Familien, die geflohene Juden zuhause versteckten; Bürgermeister, die sich weigerten, in den letzten Kriegstagen noch Todesurteile zu unterschreiben. Sie riskierten ihr Leben, um das Leben anderer zu retten.
Ausstellungsinfo:
Sonderausstellung: Deutschland 1945 – Die letzten Kriegsmonate
9. Dezember 2014 bis 25. Oktober 2015
Topographie des Terros, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin
Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 20 Uhr
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.