Geschichte

Gleichberechtigt in der Wirtschaft – wie Hans Böckler den DGB bis heute prägt

In Vorständen und Aufsichtsräten der Wirtschaft völlig gleichberechtigt vertreten sein, dieses Ziel verfolgte Hans Böckler. 1949 wird er zum Ersten Vorsitzenden des gerade gegründeten DGB gewählt. Wie kein Zweiter verkörpert er die Geschichte der Arbeiterbewegung.

von Lothar Pollähne · 14. Oktober 2024
Gedenktafel am Hans-Böckler-Platz in Mülheim an der Ruhr

Hans Böckler war Mitbegründer des DGB und von 1949 bis zu seinem Tod 1951 dessen Vorsitzender

Auf Einladung des niedersächsischen Gewerkschafters Albin Karl kommen am 12. März 1946 im Katholischen Vereinshaus in Hannover-Linden 70 Delegierte zur ersten Gewerkschaftskonferenz in der britischen Besatzungszone zusammen. Auf der Tagesordnung stehen Fragen der Organisation der künftigen Gewerkschaften und die Formulierung gewerkschaftspolitischer Leitsätze. „Wir müssen in der Wirtschaft selber als völlig gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft. Also der Gedanke ist der: Vertretung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Gesellschaften.“ 

Mit diesen Worten schwört der Kölner Abgesandte Hans Böckler die Delegierten auf die zentrale Aufgabe der kommenden Jahre ein. Böckler weiß, wovon er spricht, denn er war schon in den 1920er Jahren an den weitgehend gescheiterten Mitbestimmungskämpfen beteiligt. Zum Abschluss der Konferenz wird ein vorläufiger Gewerkschaftsvorstand für die britische Zone gewählt, an dessen Spitze Hans Böckler steht. Die Konferenz von Hannover kann als Impuls für die spätere Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes angesehen werden. 

Unzertrennlich: Hans Böckler und der DGB

Für die britische Zone erfolgt diese Gründung auf einem Kongress, der vom 22. bis zum 25. April 1947 in Bielefeld stattfindet. Zum Vorsitzenden wird Hans Böckler gewählt. In seiner Dankesrede erklärt er: „In der Einheit, im gegenseitigen Verstehen liegt unsere Stärke. Eine Stärke, die uns unüberwindlich macht, wenn wir nur wollen. Die Einigkeit, unser höchstes Gut, lasst sie uns pflegen, lasst sie uns verteidigen gegenüber jedermann.“ 

In dieser Aussage steckt die Lebenserfahrung aus 50 Jahren gewerkschaftlicher Tätigkeit, verbunden mit der Erkenntnis, dass es bitter-harte Kämpfe, wie sie die gespaltene Gewerkschaftsbewegung in der Endphase der Weimarer Republik ausgefochten hat, in einem neuen, demokratischen Deutschland nicht mehr geben darf. 

Wie kein Zweiter verkörpert Hans Böckler die Geschichte der Arbeiterbewegung. Geboren wird er am 26. Februar 1875 in der mittelfränkischen Gemeinde Trautskirchen. Der Vater ist Kutscher, die Mutter Waschfrau — und der Hunger ist ständiger Gast im Hause Böckler. Das Geburtshaus beherbergt heute ein kleines Museum, dessen gewichtigstes Ausstellungsstück ein 14-Pfund schwerer Hammer ist, mit dem der erst dreizehnjährige Hans als Gold- und Silberschläger-Lehrling in Fürth zum Lebensunterhalt der Familie beitragen muss, weil der Vater 1888 stirbt und Hans die Schule nicht beenden kann. 

Bis zu 70.000-mal muss er in einer 13stündigen Schicht auf die Edelmetalle einschlagen, um Blattgold herzustellen. Die Entlohnung ist dürftig und jeder Hammerschlag bleut ihm die Rechtlosigkeit des Proletariats ein. 1894 tritt Hans Böckler in die SPD und den Metallarbeiterverband ein, der für ihn schon bald zur Heimat wird. 

Gegen Ausbeutung, Armut und Repression

1902 wird Hans Böckler, der seit 1899 Vorsitzender des örtlichen Gewerkschaftskartells ist, in den Rat der Stadt Fürth gewählt. Als er beim Bezirksamt die Zulassung einer Feier zum 1. Mai beantragt, die dann garnicht stattfindet, verliert er seinen Arbeitsplatz. Niemand muss ihm beibringen, dass Ausbeutung, Armut und Repression zusammen gehören. 

„Ich kämpfe um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die schaffenden Menschen. Werden sie uns nicht freiwillig zugestanden, dann werden wir sie uns erkämpfen, denn das moralische Recht ist auf unserer Seite“, erklärt Hans Böckler 1910, als er bereits Leiter des Metallarbeiterverbandes in Schlesien ist. 

Nach der November-Revolution von 1918 wähnen sich die Gewerkschaften auf Augenhöhe mit den Unternehmerverbänden, die in die Bildung von „Zentralarbeitsgemeinschaften der gewerblichen und industriellen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ einwilligen. Hans Böckler wird Sekretär dieser kurzlebigen Vereinigung, denn Eines wollen die Unternehmer auf keinen Fall: die Mitbestimmung. Für Hans Böckler ist dies jedoch das zentrale Anliegen, und er tritt von seinem Amt zurück.

Begegnung mit Kurt Schumacher

1920 wird Hans Böckler zum Bevollmächtigten des Metallarbeiterverbandes in Köln ernannt. Die Domstadt wird auch zu seiner politischen Heimat. 1924 zieht er als Stadtverordneter für die SPD in den Rat der Stadt Köln ein und avanciert zum großen Gegenspieler des konservativen Oberbürgermeisters Konrad Adenauer. Die Begegnung mit diesem wird ebenso prägend sein, wie vier Jahre später, nach Böcklers Wahl in den Reichstag, die Begegnung mit Kurt Schumacher. 

Bewusst nimmt Hans Böckler die Gefahren des aufziehenden Nationalsozialismus wahr, denn er kennt die Macht der „Ruhrbarone“, die Hitlers Machtambitionen finanzieren. Böckler ist einer der viel zu Wenigen, die sich offen für die Bewaffnung des Reichsbanners aussprechen. 

Die Jahre des Nazi-Terrors überlebt Hans Böckler nach mehreren Inhaftierungen schließlich im Untergrund im Bergischen Land. Als er 70jährig in die Kölner Trümmerwüste zurückkehrt, ist ihm klar, welche immensen Aufgaben anstehen. Das aufgeteilte Land leidet Hunger, es fehlt an Wohnraum und zusätzlich belasten Millionen Flüchtlinge aus dem Osten die angespannte Lage. Daraus ergeben sich zwangsläufig die Aufgaben für den „Gewerkschaftssenior“ Hans Böckler. 

1949: Grundgesetz, Bundestag, DGB 

Noch einmal wird er in den Kölner Stadtrat gewählt und obendrein in den ernannten nordrhein-westfälischen Landtag entsandt. Das verschafft ihm den Zugang zu den alliierten Entscheidungsträgern, die er für seine Anliegen einzuspannen weiß. 1949 nutzt Böckler seine guten Kontakte zu Harvey W. Brown, dem Direktor des US-Hochkommissariats für Arbeitsfragen, um das ERP-Sonderprogramm „Bau von 10.000 Flüchtlingswohnungen“ auf den Weg zu bringen, das in Schleswig-Holstein realisiert wird.

Das Jahr 1949 wird zukunftsweisend für die westlichen Besatzungszonen Deutschlands. Am 23. Mai wird das Grundgesetz verabschiedet, am 14. August der erste Bundestag frei gewählt und am 13. Oktober in München der Deutsche Gewerkschaftsbund gegründet. Das Hohe Haus in Bonn wählt Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler, Kurt Schumacher übernimmt die Rolle des Oppositionsführers, und Hans Böckler wird zum Vorsitzenden des DGB gewählt. Sein Versprechen: „In einem freilich wird man die Gewerkschaften zum Äußersten entschlossen finden: in der Verteidigung der demokratischen Einrichtungen, auf denen unser aller Wohl beruht, gegen jede Autokratie und jede Totalitarität.“ 

Paritätische Mitbestimmung als Ziel

Als Hans Böckler seine Tätigkeit als DGB-Vorsitzender am 1. Januar 1950 aufnimmt, hat er noch gut ein Jahr Zeit, um sein Hauptanliegen, die paritätische Mitbestimmung, durchzusetzen. Obwohl er nach mehreren Herzinfarkten schwer krank ist, arbeitet er unermüdlich an diesem Ziel, denn „das Recht ist auf unserer Seite, unsere Sache ist gut und weil sie gut ist, wird sie siegen.“ 

Zum Ende des Jahres 1950 spitzt sich die Situation im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie zu. Auf einer Delegiertenkonferenz der IG Metall wird Anfang 1951 der Streikbeginn für den 2. Februar verkündet, sollte es bis dahin keine Regelung der Mitbestimmungsfrage geben. Am 25. Januar schließlich knickt Konrad Adenauer ein, und die Montanmitbestimmung ist unter Dach und Fach. Hans Böckler hat ein Teilziel erreicht. Kurz darauf stirbt er am 16. Februar 1951. 

Kurt Schumacher stellt Hans Böckler in seiner Traueransprache in eine Reihe mit August Bebel und Friedrich Ebert und erklärt: „Das ganze arbeitende Volk ist stolz auf Dich und die ganze Arbeiterbewegung ist stolz auf Dich und Deine Partei ist stolz auf Dich.“

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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