Geschichte

Für eine Partei mit Herz und Seele. Ein Notruf.

von Horst-Eberhard Richter · 2. Dezember 2009
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Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden werden im Innern geboren. "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts", sagte Brandt. Wo kommt das Wort Frieden in der Partei heute noch vor? Willy Brandt hat im Bonner Hofgarten vor Hunderttausend gegen die Atomrüstung geredet. Als die Friedensbewegung 2008 gegen die 20 Atombomben in Büchel protestierte, war keiner der SPD-Oberen zu sehen. Blamabel!

Das Gesicht der Partei hat an Klarheit verloren, seit sie stetig technokratischer geworden ist. Der Niedergang begann schon als Helmut Schmidt die Versöhnungpolitik Brandts dem Glauben an die Bedrohung Moskaus durch die Pershing II opferte und vor 30 Jahren die grünen Umweltängste für "Quatsch" erklärte (wörtlich in einem Gespräch mit mir). Die Partei braucht eine Seele, und da ist momentan ein Vakuum. Die markigen Aufrufe zum Kämpfen: Jetzt erst recht! Nicht unterkriegen-lassen! Alles gut und schön.

Wo bleibt der Protest?

Aber Fanfaren und Schneid machen es nicht, wenn das Pro, das Wofür nicht klar sind - Gerechtigkeit loben alle, auch die Banker, die ihre Boni für gerecht halten: Sozial sei die Marktwirtschaft, weil man sie so nennt. Aber wo bleiben die zugesagten Regulierungen für die Finanzindustrie? Wo bleibt der fällige Protest, wenn die Praxis den Worten widerspricht?

Wir leben inzwischen in zwei Werteordnungen. Die eine ist die offizielle und in den Schulen gelehrte: Güte, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis. Aber in Wahrheit sind das heute die Eigenschaften der gutmenschlichen Verlierer. Die heimliche, jedoch praktisch funktionierende Werterichtung lautet: Gerissenheit, Habgier, skrupelloser Egoismus. Das sind die Eigenschaften der Gewinner. Die bis an die Spitzen der Konzerne aufgestiegene Korruption belegt den Umfang der Seuche. Wo bleibt da die fällige Empörung?

Verantwortung für das Ganze

Wenn ich immer wieder als alt gewordener Zeitzeuge von Lehrern, Schulleitern oder Schülern zu Reden oder Gesprächen eingeladen werde, merke ich, dass die jungen Leute der Oberflächlichkeit und Glätte der Partei-Selbstdarstellungen überdrüssig sind. Sie wollen spüren, was echt ist, was ihnen innerlich nahe ist, wo etwas aufleuchtet von Zukunftsvisionen, von Verantwortung für das Ganze.

Sie horchen auf, wenn es um Willy Brandt, Gorbatschow, Mandela oder Obama geht. Da ist etwas von dem "We can!" zu spüren, das Obama entgegenschallte, als über 200.000 Leute, vor allem Jugendliche, ihn 2008 im Berliner Tiergarten empfingen. Warum lässt die SPD nirgends ihre natürliche Verwandtschaft mit dem Versöhnungswillen und dem Geist der Humanität des Bush Nachfolgers erkennen?

Es scheint fast so, als warte man pessimistisch darauf, dass ihn die Opposition zur Strecke bringt. Als müsste nicht gerade die SPD klar Flagge zeigen, wenn uns endlich einer aus Washington deutlich zum Beistand für die Schaffung einer besseren Welt aufruft.

Horst-Eberhard Richter, geboren 1923, ist Psychoanalytiker und Sozialphilosoph, Mitbegründer der Friedensbewegung und kritischer Wegbegleiter der SPD.

Autor*in
Horst-Eberhard Richter

Horst-Eberhard Richter, geboren 1923, ist Psychoanalytiker und Sozialphilosoph, Mitbegründer der Friedensbewegung und kritischer Wegbegleiter der SPD.

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