Geschichte

Fünfzehn gemeinsame Jahre

von Die Redaktion · 1. Dezember 2005
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"Du passt zu uns", das war Gerd Schröders knapper Befund nach fünfminütigem Kennenlernen im Frühjahr 1991, als die erste rot-grüne Koalition von Niedersachsen gerade in Schwung kam. Nichts ist typischer für ihn: zuverlässige Witterung, schnelle Entscheidung und Bereitschaft. Aus den fünf Minuten im Frühjahr 1991 sind 15 Jahre gemeinsamer Gang durch die Höhen und Tiefen deutscher Politik in Bund und Land geworden.

Spannend und konfliktreich waren die ersten vier Jahre rot-grüne Koalition nach 14 Jahren Regierung Albrecht; sie brachten alles in allem auch Umwälzungen, die zum Gewinn der absoluten Mehrheit der SPD nach 1994 beigetragen haben mögen, die dem Land aber neue Selbstsicherheit und Perspektiven

abgerungen haben. "Land mit Weitsicht" machte neugierig auf das, was sich abseits von Rübenfeldern und Grünland in Forschungsstätten, neuen Technologieunternehmen und klassischer Wirtschaftsstruktur von Werften bis Autoindustrie Neues tat.

Arbeit, Arbeitsplätze, Nachbarschaft. "Es geht auch menschlich!" war nicht nur der zentrale Slogan zur Bundestagswahl 1998; es war vor allem selbstbewusste Bilanz, die am Ende von acht Jahren Arbeit eines erfolgreichen Ministerpräsidenten in Niedersachsen stand.

Am 27. Oktober 1998 wurde Gerhard Schröder zum deutschen Bundeskanzler gewählt. Nach sieben erfolgreichen Jahren endet nun seine Regierungszeit. Sie haben unser Land tiefgreifend verändert: Es ist gelungen, Deutschland als Friedensmacht zu neuer internationaler Verantwortung zu führen, und wir haben die unumgängliche Erneuerung unseres Landes eingeleitet. Unter Gerhard Schröder ist Deutschland vorangekommen. Darauf dürfen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stolz sein.

Keiner von denen, die im Herbst 1998 ins Bonner Kanzleramt einzogen, konnte wissen, vor welchen Herausforderungen wir schon bald stehen würden. Die Regierung Kohl hatte das Land in nahezu desolater wirtschaftlicher Verfassung hinterlassen: Der Schuldenstand des Bundes war in den 1990er-Jahren explodiert, die Steuer- und Abgabenbelastung hatte nicht gekannte Höhen erreicht, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung waren bedrohlich gesunken.

Kaum hatte die neue Bundesregierung sich mit ganzer Kraft der Lösung dieser Aufgaben zugewandt, wurde sie durch die Zuspitzung der Krise im Kosovo mit einer Herausforderung konfrontiert, die uns Entscheidungen von einer Tragweite abverlangte, wie sie selten zuvor zu treffen waren.

Zum ersten Mal seit Kriegsende 1945 beteiligten sich deutsche Soldaten an Kampfeinsätzen. Unter deutscher Präsidentschaft in der Europäischen Union gelang es - in der Zusammenarbeit mit den USA und Russland - einen Waffenstillstand durchzusetzen. Unvergessen ist der Jubel, der den deutschen Soldaten entgegenschlug, als sie gemeinsam mit unseren Verbündeten in den Kosovo einrückten. Dies symbolisiert vielleicht besser alles vieles andere, welchen Stellenwert unser Land in der Welt von heute hat. Wir sind ein geachteter Partner, der das Vertrauen seiner Freunde und Verbündeten hat.

Die Terroranschläge des 11. September stellten uns vor neue, bis dahin nicht gekannte Anforderungen. In Solidarität mit unseren Bündnispartnern beteiligen wir uns seither am Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Heute stehen deutsche Soldaten am Hindukusch, unter oft hohem persönlichem Risiko, wie der jüngste Tod eines Soldaten auf traurige Weise belegt.

Wir Deutsche haben gelernt, ja zu sagen, wo es unsere Verantwortung gebietet. Gerhard Schröder hatte aber auch den Mut, nein zu sagen, wo andere unhinterfragt Gefolgschaft einforderten. Doch nicht nur Deutschlands Stellung in der Welt wurde unter seiner Kanzlerschaft ausgebaut und gefestigt.

Auch im Inneren, beim Umbau unseres Landes, hat sich in den vergangenen sieben Jahren Entscheidendes bewegt: In der nachhaltigen Familienpolitik, der konsequenten Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik, der Einführung eines modernen Zuwanderungsrechts, im Einstieg in den Atomausstieg, an der Gesundheitsreform, den positiven Ergebnissen unserer Klimaschutzpolitik, am Ausbau der privaten Eigenvorsorge in der Rente, der großen Steuerreform, den Arbeitsmarktreformen. Dies alles sind Erfolge, auf die Sozialdemokraten stolz sein können.

Mit der Agenda 2010 sind wir konsequent den Weg der Erneuerung unseres Landes gegangen. Dies hat nicht zuletzt der sozialdemokratischen Partei viel abverlangt. Doch heute wissen wir: Diese Anstrengung hat gelohnt. Unter der rot-schwarzen Koalition werden die eingeleiteten Reformen fortgeführt. Dabei ist es die Aufgabe von uns Sozialdemokraten, dafür Sorge zu tragen, dass bei allen notwendigen Veränderungen Maß und Mitte, Menschlichkeit und Gerechtigkeit nicht verloren gehen werden.

Die Agenda-Rede des Kanzlers vom März 2003 steht unter der Überschrift: "Mut zum Frieden, Mut zur Veränderung." Nicht jeder hat damals gleich bemerkt, dass diese Überschrift eine Einsicht enthält, die weit über den Tag hinaus reicht: die Erkenntnis, dass in der heutigen Welt Außen- und Innenpolitik in einem neuen Verhältnis zueinander stehen.

Auch deshalb haben wir in den vergangenen sieben Jahren die Integration Europas energisch vorangetrieben. In einer historischen Anstrengung ist es gelungen, den neuen Mitgliedstaaten aus Mittel- und Südosteuropa den Weg in die Europäische Union zu ebnen. Damit wurde die Teilung unseres Kontinents entgültig überwunden und Europa hat zu neuer Handlungsfähigkeit gefunden.

Reformfähigkeit nach innen und Wirkungsmöglichkeiten nach außen bedingen einander. Wir werden den Zusammenhalt unseres Landes nur bewahren können, wenn wir die Risiken um unser Land herum rechtzeitig wahrnehmen und Vorsorge treffen. Und umgekehrt wird Deutschland in der Welt der Zukunft nur ernst genommen werden, wenn wir sozial und wirtschaftlich leistungsfähig bleiben.

Bei alldem kommt es aber zuallererst darauf an, wie wir Deutschen uns selbst sehen. Und gerade hier liegt der vielleicht größte Erfolg der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder: dass in unserem Land ein Prozess der Selbstvergewisserung und Neubestimmung in Gang gekommen ist, dass wir Veränderungen angestoßen haben, die helfen, Deutschland wieder als beweglich und gestaltbar wahrzunehmen - zuHause wie in der Welt.

Daran müssen wir weiter mit aller Kraft arbeiten. Dafür stehen wir Sozialdemokraten in der rot-schwarzen Koalition bewusst. Sie muss eine Koalition der Vernunft und Verlässlichkeit sein: pragmatisch, problem- und sachorientiert. Und sie wird den Kurs der Erneuerung fortsetzen, der von Gerhard Schröder mit der "Agenda 2010" eingeschlagen wurde.

Gerhard Schröder hat die Verhandlungen zum Koalitionsvertrag der großen Koalition mitgeprägt. Ich bin mir sicher, dass er ihre Arbeit auch weiterhin begleiten wird. Und ich freue mich, dass ich weiter auf ihn zählen kann, als Ratgeber und als Freund. Ich verdanke ihm viel.

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