Geschichte

„Freiheit für alle“

von Die Redaktion · 15. November 2005
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Im Mai 2000 hat die SPD mit der Programmdebatte begonnen. Heute beginnt

der vierte Anlauf. Warum dauert es so lange?

Es gab jedes Mal, wenn ein Entwurf fertig oder fast fertig war, einen Wechsel der

verantwortlichen Personen. Danach mussten die Fäden neu geknüpft werden.

Sind die Inhalte unstrittig?

Es gibt einen großen unstrittigen Bereich. Ungeklärt ist aber z.B. die Frage, ob

Eigenverantwortung als Leitprinzip stärker herausgehoben werden soll, oder ob

die alte Trias Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität unverändert bleibt. Das ist

nicht nur eine symbolische Frage. Das Verhältnis von Freiheit und

Eigenverantwortung hat große Wirkungen darauf, welche Art von Sozialstaat

man ins Auge fasst und wie das Verhältnis von Gesellschaft, Individuum und

Staat beschaffen sein soll.

Franz Müntefering hat vor einem Jahr beim SPD-Grundwerteforum betont:

"Freiheit zuerst".

Wir müssen klar machen, dass es sich bei der Sozialdemokratie in erster Linie

um eine Freiheitsbewegung handelt und sofort hinzufügen: Freiheit für alle im

Sinne von Gerechtigkeit.

Was ist die sozialdemokratische Vision zu Globalisierung und

Internationalisierung?

Sie besteht in einem modifizierten skandinavischer Weg. Das heißt, Primat der

Politik und nicht der Märkte; innovative Wissensökonomie und Forschungspolitik,

gleiche Bildungschancen für alle, das heißt vor allem auch soziale Sicherung

als Bürgerrecht. Das heißt, aktive Zivilgesellschaft und gesellschaftliche

Demokratisierung. Damit kann man soziale Demokratie klar abgrenzen von der

libertären Demokratie, wie Angela Merkel sie wollte.

Was bedeutet diese Vision für die Menschen?

Das Wichtigste ist die garantierte Teilhabe aller am wirtschaftlichen,

gesellschaftlichen und politischen Leben. Dazu brauchen wir ein

Bildungssystem, das wirklich Chancengleichheit schafft, also Bildungsangebote

ab dem 2. oder 3. Lebensjahr, Ganztagsbetreuung und Ganztagsschule. Das

erleichtert die Vereinbarung von Familie und Beruf und die Gleichstellung von

Mann und Frau. Das führt zu mehr Nachfrage nach familienbezogenen

Dienstleistungen. Vermutlich werden dann auch wieder mehr Kinder geboren,

so dass langfristig die Sozialstaatsfinanzierung besser gesichert ist.

Welche Bedeutung hat der Staat für Sozialdemokraten?

Wir wollen einen aktivierenden, einen gewährleistenden, einen Ziele setzenden

Staat. Auch wenn vieles auf europäischer Ebene geregelt wird, werden die

Nationalstaaten nicht ihre Bedeutung verlieren. Franz Müntefering hat vor einem

Jahr gesagt: "Die Lust aufs Neue, auch wenn es riskant ist, muss geweckt

werden. Der Wille zum Wagnis."

Gilt das noch?

Der Mut zum Wagnis, Innovationskultur, Innovationsfreude ja, aber im Rahmen -

das ist die sozialdemokratische Botschaft - einer garantierten Grundsicherung.

Es gibt einen Entwurf, der einen Tag vor der Landtagswahl in NRW im Mai 2005

fertiggestellt wurde. Was geschieht damit?

Der Entwurf ist von Franz Müntefering, Wolfgang Thierse, Ute Vogt und mir im

Auftrag der Programmkommission erarbeitet worden. Die Zusammensetzung

dieses Teams und die geleistete intensive Arbeit sprechen dafür, dass dieser

Entwurf breit diskutiert wird und dann mit den nötigen Veränderungen am Ende

den Prozess zu einem Grundsatzprogramm trägt. Es hätte keinen Sinn, noch mal

ganz von vorn anzufangen.

Interview Susanne Dohrn

Professor Thomas Meyer ist Leiter der Politischen Akademie der Friedrich Ebert

Stiftung in Bonn.

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