Franz Ittling: Wie ein sozialdemokratischer Unternehmer Maßstäbe setzt
Im Tale der Loquitz, einem Flüsschen im Südwesten Thüringens, liegt zwischen Ausläufern des Thüringer Schiefergebirges der heute verschlafene Ort Probstzella. Millionen von Menschen müssten Probstzella in unangenehmer Erinnerung haben, denn bis 1990 befand sich hier die Grenzkontrollstelle der DDR für Bahnreisende auf der Strecke zwischen München und Berlin, und die waren froh, wenn sie Probstzella hinter sich gelassen hatten. Nur wenigen dürfte ein architektonisches Wunderwerk aufgefallen sein, das gleich hinter dem Bahnhofsgebäude liegt, das „Haus des Volkes“, ein Geschenk des Elektrizitätswerk-Betreibers Franz Itting.
Lebensaufgabe Elektrifizierung
Geboren wird Franz Itting am 11. September 1875 in Saalfeld. Sein Vater besitzt ein kleines Fuhrunternehmen. „Die kleinen Einnahmen zwangen uns Kinder, von früh an mitzuarbeiten. Die Schularbeiten mussten oft erst in der späten Nacht gemacht werden“, schreibt Itting in seinen Erinnerungen. Er ist ein guter Schüler mit großem Interesse an Naturkunde. Nach dem Schulabschluss beginnt er 1890 eine Lehre als Maschinenbauer und will sich anschießend „die Welt anschauen“. In Hamburg besucht der junge Mann Vorträge des Arbeiterbildungsvereins und stößt so zur Sozialdemokratie.
Nach einem kurzen Studium an der „Elektrotechnischen Lehranstalt des Physikalischen Vereins“ in Frankfurt am Main lehnt der „Praktiker“ Itting das Angebot einer Assistentenstelle an der „Physikalisch-Technischen Reichsanstalt“ In Berlin ab und tritt im Jahr 1900 eine Stelle als Ingenieur bei der „Russischen Elektrizitäts-Gesellschaft“ in Riga an. Franz Itting hat seine Lebensaufgabe gefunden: die Elektrifizierung des Lebens. 1903 kehrt er nach Saalfeld zurück und gründet ein Montagebüro für Elektrotechnik, das umliegende Unternehmen mit kleinen Stromaggregaten versorgt.
„Eine Stätte der Erholung, Ruhe und Körperertüchtigung“
1908 zieht Franz Itting mit einer Vision nach Probstzella. Er will die rückständige Region an der Grenze zwischen Thüringen und Bayern mit Strom versorgen. 1909 geht das „Elektrizitätswerk Itting“ ans Netz.1915 beliefert das Werk bereits 60 umliegende Gemeinden mit Strom. Seit 1919 sitzt Franz Itting für die SPD im Kreisrat von Saalfeld und versucht seine Vorstellungen von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel in die Tat umzusetzen. Itting will seine Fabrik als Genossenschaft organisieren, scheitert aber am Widerstand der Gemeinden.
Dennoch bleibt Franz Itting seinen genossenschaftlichen Vorstellungen treu. Er lässt Werkswohnungen für seine Arbeiter bauen und führt während der Wirtschaftskrise im Einvernehmen mit der Belegschaft die 40-Stunden-Woche ein, um die Arbeitsplätze zu sichern. 1925 beginnen die Arbeiten für Ittings Lebenswerk, das „Haus des Volkes“, das „eine Stätte der Erholung, Ruhe und Belehrung und Körperertüchtigung“ werden soll.
Verfolgung durch die Nazis
Itting beauftragt einen Architekten aus Saalfeld mit dem Entwurf, den er bei einem Besuch in Dessau stolz seinen Kindern präsentiert. Die sind als „Bauhaus-Schüler“ entsetzt über die konservative „Türmchen-Architektur“ und überzeugen Franz Itting, ihren Kommilitonen Alfred Arndt mit der Planung zu betrauen. Schließlich will Itting „das modernste Haus“ für seine Arbeiter bauen lassen. 1927 wird das „Haus des Volkes“ eröffnet. Die Strom- und Wärmeversorgung erfolgt über Ittings Elektrizitätswerk, die Versorgung der Gaststätten über einen angeschlossenen Gartenbaubetrieb.
Das Haus soll für alle offen sein. Kommunist*innen und Nazis allerdings möchte Itting in seinem Haus nicht beherbergen. Nach der Machtübertragung rufen die Nazis zum Boykott des Hauses auf. Itting wird drangsaliert und im August 1933 zum ersten Mal inhaftiert. In der Nazi-Zeitung „Fränkisches Volk“ heißt es: „Marxistischer Millionär in Schutzhaft genommen“. Auf Geheiß der Nazis muss er das „Haus des Volkes“ in „Hotel Itting“ umbenennen. Seinen Unmut äußert er öffentlich.
Schauprozess der SED
Franz Itting wird im Januar 1937 wieder in „Schutzhaft“ genommen und aus der Firma gedrängt. Als Häftling 924 kommt er ins KZ Bad Sulza. Nach der Entlassung im Frühjahr 1937 wirkt Itting wieder für sein Werk. Im Juli1944 wird Itting nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler in Buchenwald interniert. Ende August 1944 darf er nach Probstzella zurückkehren und wartet dort auf die Niederlage Nazi-Deutschlands.
Im April 1945 wird Thüringen befreit und Franz Itting kann sich wieder seinem E-Werk und dem „Haus des Volkes“ widmen. Dort findet im September des Jahres der erste Landeskongress der Thüringer SPD statt, eine Genugtuung für Itting. Die Freude währt jedoch nur kurze Zeit. 1948 wird Itting, mittlerweile SED-Mitglied, als „Nutznießer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ verhaftet und in einem Schauprozess zu zehn Monaten Haft verurteilt. Ein Revisionsprozess, in dem alte Nazis das Wort führen, bestätigt 1950 das Urteil aus der ersten Instanz. Nach 14 Monaten Untersuchungshaft flieht Franz Itting ins bayerische Ludwigsstadt und wagt mit 75 Jahren einen Neuanfang. Der pragmatische Utopist stirbt am 21. Mai 1967 in den Überzeugung, „dass sich die Menschheit ein Paradies schaffen könnte“.
Literaturempfehlung: Roman Grafe, Mehr Licht — Das Lebenswerk des Roten Itting, Halle 2012