Geschichte

Es lebe die soziale Republik!

von Die Redaktion · 26. Januar 2006
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Sie weigerten sich, kurz vor dem Waffenstillstand noch einen ruhmreichen Heldentod zu sterben. Ende Oktober 1918 meuterten die Matrosen der Kriegsflotte in Wilhelmshaven, Anfang November in Kiel. Von dort aus griff die Revolution auf das gesamte Land über. Träger der Novemberrevolution waren die überall gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte. Sie brachten den alten Obrigkeitsstaat zu Fall.Am 9. November rief der Vorwärts in einer Extra-Ausgabe zum Generalstreik auf, am selben Tag dankte der Kaiser ab. In Berlin wurde die Republik ausgerufen. Die Macht ging an die gewählten Räte und damit an die Sozialdemokraten, die dort die Mehrheit hatten. Im Chaos des militärischen und staatlichen Zusammenbruchs blieben zunächst nur die Organisationen der Arbeiterbewegung funktionsfähig: Vertreter der beiden sozialdemokratischen Parteien (Mehrheits-SPD und USPD) einigten sich, unter Friedrich Ebert eine Regierung zu bilden. Diese wurde als "Rat der Volksbeauftragten" am 10. November von einer Versammlung gewählter Arbeiter- und Soldatenräte bestätigt.

Schon am 12. November verkündete der "Rat der Volksbeauftragten" grundlegende politische und soziale Umwälzungen, und zwar "mit Gesetzeskraft": Gewährung aller demokratischen Grund- und Freiheitsrechte, achtstündiger Maximalarbeitstag ab 1. Januar 1919, gleiches Wahlrecht, auch für Frauen, nach dem Verhältnissystem. Am 15. November akzeptierten die Unternehmerverbände den Achtstundentag und anerkannten die Gewerkschaften als legitime Interessenvertreter.

In den Arbeiter- und Soldatenräten hatten die wenigen Anhänger einer Rätediktatur nach dem Vorbild Lenins keine Chancen: Am 16. Dezember 1918 entschied sich der Reichsrätekongress in Berlin für die Parlamentarische Demokratie und für Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Blutige Zusammenstöße zwischen rechten Freikorps und linksrevolutionären Gruppen (Spartakus, seit Januar 1919 auch KPD) wirkten zwar schon beunruhigend. Doch die Wahlergebnisse zeigten eine überwältigende Zustimmung des Volkes zur Demokratie: Die demokratischen Parteien erhielten 83,7 Prozent (MSPD 37,9; USPD 7,6; Zentrum 19,7; Deutsche Demokratische Partei 18,5) während sich die republikfeindlichen Parteien mit 15 Prozent begnügen mussten.

Trotz dieser günstigen Ausgangslage überlebte die erste Demokratie in Deutschland nur ein reichliches Jahrzehnt. Im November 1932 gewannen die demokratischen Parteien nur noch 36,3 Prozent der Stimmen. Als eine Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik sei hier nur auf ei-

nen Faktor hingewiesen: Anfangs befürwortete die überwältigende Mehrheit des Volkes die Demokratie. Von den weiterhin einflussreichen Machteliten des alten Obrigkeitsstaates (Militär, Justiz, Bürokratie, Medien, Kultur) wurde sie jedoch immer militanter bekämpft. Machteliten können eine moralisch-politisch negative Auslese aus der Gesamtgesellschaft sein.

Quelle: vorwärts 11/2003

Horst Heimann

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