Geschichte

Erste Europawahl 1979: Der Zauber des Anfangs

Sie wollten Neues schaffen und den Traum eines geeinten Europas verwirklichen: Die Sozialdemokraten zogen 1979 mit SPD-Chef Willy Brandt als Spitzenkandidat in den ersten Europawahlkampf. Vor 40 Jahren herrschte ein Geist des Aufbruchs und des Optimismus.
von Heidemarie Wieczorek-Zeul · 24. Mai 2019
Europawahl 1979: Wahlplakat mit dem SPD-Spitzenkandidaten Willy Brandt (l.) und Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Europawahl 1979: Wahlplakat mit dem SPD-Spitzenkandidaten Willy Brandt (l.) und Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Vor 40 Jahren wurde das Europäische Parlament zum ersten Mal direkt durch die Bürger und Bürgerinnen der damals noch 9 Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft gewählt.
Mich hatte Willy Brandt motiviert zu kandidieren. Und – damals gab es noch keine Quote für Parlamentswahlen –  er hatte auch gleich seine Spitzenkandidatur auf der SPD Europaliste verbunden mit der Forderung, dass mindestens 25 Prozent Frauen auf dieser Liste vertreten sein müssten. Das war für damalige Verhältnisse schon ein Fortschritt!

1979: viele junge SPD-Abgeordnete

In Deutschland fand die Europawahl am 10. Juni 1979 statt. 65,7 Prozent Wahlbeteiligung gab es damals dabei in Deutschland. Die SPD entsandte 35 von 81 deutschen Abgeordneten ins ­Europaparlament. Wir waren eine junge Gruppe, die alle Regionen der damaligen Bundesrepublik vertrat, viele junge Abgeordnete wie Gerhard Schmid, Gerd Walter oder Thomas von der Vring, die wie wir aus der Jungsozialisten-Arbeit kamen, viele Frauen, wie z. B. Katharina Focke, die bei der zweiten Direktwahl 1984 unsere Spitzenkandidatin wurde, viele Gewerkschafter und Klaus Hänsch, der später Präsident des Europäischen Parlamentes wurde. Und natürlich Willy Brandt.

Uns alle einte die Überzeugung: Wir wollen Neues schaffen, den Traum eines geeinten Europa verwirklichen, eines Europas, das sich selbst behauptet und das den Kapitalismus auf einer größeren Ebene sozial, ökologisch und gerecht bändigt. Eines Europas, das dauerhaft Frieden durch Zusammenarbeit sichert.

Redeschlachten statt Schützengräben

Ich weiß noch wie heute, mit welchen bewegten Gefühlen ich in der konstituierenden Sitzung des Europaparlamentes saß und mich umsah: Da war die Liberale Simone Veil aus Frankreich. Sie hatte Auschwitz, Bergen-Belsen überlebt und den Großteil ihrer Familie durch die Nazibarbarei verloren. Wir wählten sie zur Parlamentspräsidentin. Da war Altiero Spinelli, der Widerstandskämpfer gegen Mussolini. 1941 hatte er in der Verbannung mit anderen Freunden das „Manifest von Ventotene“ verfasst, das ein geeintes und freies Europa als föderale Union vorschlug. Da war  Jaques Delors, der später Präsident der Europäischen Kommission wurde, und natürlich Willy Brandt.

Wir spürten: Hier kommen Demokratie und Menschenrechte voran. Nach zwei Weltkriegen, nach Nazibarbarei und Faschismus arbeiteten wir zusammen. Und wir versprachen uns: Wir ­Europäer werden unsere Konflikte notfalls in Redeschlachten austragen – aber niemals mehr in Schützengräben.

Den Frieden bewahren

Und das ist doch die europäische Lehre: Die Europäische Union ist die wichtigste politische und zivilisatorische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Unser Auftrag heute ist es, dafür zu sorgen, dass wir diese Errungenschaft für das 21. Jahrhundert retten, bewahren und weiterentwickeln. Das Europaparlament ist das Parlament dieser transnationalen Demokratie.

Klaus Hänsch schreibt zurecht: „Innerhalb einer einzigen Politikergeneration haben wir aus einem Beratungsparlament (das es 1979 noch war) ein Entscheidungsparlament gemacht (das es heute ist). Die nationalen Parlamente haben dafür mehr als 150 Jahre gebraucht.“

Am 26. Mai wählen gehen!

Tragen wir also durch eine hohe Wahlbeteiligung am 26. Mai dazu bei, dass diejenigen, die das Europaparlament und die europäische, transnationale Zusammenarbeit verächtlich machen wollen, klar zurückgeschlagen werden. Tragen wir durch eine hohe Wahlbeteiligung dazu bei, dass die Europäische Union gestärkt und weiterentwickelt wird und dass aus der Europäischen Währungsunion eine wirkliche Wirtschafts- Währungs und Politische Union werden kann. Tragen wir dazu bei, dass der historisch beispiellose Weg des Friedens und der Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann!

Autor*in
Heidemarie Wieczorek-Zeul

war von 1974 bis 1977 die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jusos und von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie ist Mitglied im Vorstand des Willy-Brandt-Kreises.

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