Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern: eine humanitäre und moralische Geste
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Stuart Eizenstat, stellvertretender US-Finanzminister, lobt Bundeskanzler Gerhard Schröder an diesem Vormittag überschwänglich: „Wenn dieser Kanzler nicht im Amt wäre, hätten wir diese Vereinbarung nicht erzielt.“ Auch SPD-Kanzler Schröder ist hochzufrieden mit dem erfolgreichen Gesprächsabschluss. Dies sei eine „lang anstehende humanitäre und moralische Geste“. Der grüne Außenminister Joschka Fischer nennt das Abkommen später einen „Ausdruck historischer Verantwortung“.
Bedeutender Kurswechsel der deutschen Politik
Was die drei Politiker am Montag, den 17. Juli 2000, so berührt, ist das erfolgreiche Ende der schwierigen Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der NS-Zeit, ein Ziel, das SPD und Grüne 1998 im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Unterzeichnet wird nun ein Regierungsabkommen zwischen Deutschland und den USA, das deutsche Unternehmen vor Sammelklagen in den USA schützt und Rechtssicherheit herstellt. Die USA, Deutschland und sechs weitere Staaten sowie Opferverbände und Anwälte unterzeichnen eine gemeinsame Abschlusserklärung zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die alleinige Ansprechpartnerin für alle Ansprüche wird.
Blick zurück: Alle vorherigen Bundesregierungen seit 1949 lehnen Entschädigungszahlungen kategorisch mit der Begründung ab, dass sie mit Reparationen gleichzusetzen seien, die zunächst durch einen Friedensvertrag geklärt werden müssten, der staatliche und wirtschaftliche Rechtssicherheit herstelle. So bleiben Überlebende und Angehörige der rund zehn Millionen NS-Zwangsarbeiter ohne Ausgleich für ihre Leidenszeit.
Als Sammelklagen drohen gibt es Bewegung
Es gibt zwar immer wieder sogenannte Globalabkommen mit einzelnen Staaten wie Russland, Israel oder Polen, denen hohe Zahlungen folgen, doch umfassend geklärt wird die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern nicht. Erst als Opferorganisationen in den USA Sammelklagen gegen große deutsche Konzerne anstrengen, kommt Bewegung in die Sache.
Im Juni 1998 erklärt der SPD-Kanzlerkandidat Schröder, dass seine Regierung einen Entschädigungsfonds einrichten werde. In den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen wird dieses Ziel festgeschrieben. Parallel dazu wird die „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“ von deutschen Großunternehmen gegründet, die Nachteile für ihre Geschäfte in den USA verhindern wollen. Sie wollen sich am Entschädigungsfonds beteiligen, wenn sie vor weiteren Klagen in den USA geschützt werden.
Kanzler Schröder löst Versprechen ein
Nach dem Wahlsieg beginnt der neue Bundeskanzler, seine Wahlversprechen einzulösen. Im Februar 1999 einigt sich Schröder mit den Vertretern der Großunternehmen auf die Schaffung eines Stiftungsfonds. Die schwierigen Verhandlungen haben bereits in Washington begonnen. Am Verhandlungstisch sitzen neben der Bundesregierung und den USA auch Israel, Russland, Polen, Weißrussland, die Ukraine und Tschechien sowie Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft, US-Anwälte und Opferorganisationen. Sie ringen eineinhalb Jahre lang um die Entschädigungsregelung. Bis zum Schluss drohen die amerikanischen Opferanwälte mit neuen Sammelklagen, doch schließlich wird eine Einigung über die Höhe des Stiftungskapitals und dessen Verteilung erzielt. Die deutsche Wirtschaft und die Bundesregierung zahlen jeweils die Hälfte des Stiftungskapitals von fünf Milliarden Euro.
Offiziell wird die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ am 2. August 2000 durch ein Gesetz gegründet, das mit großer Mehrheit im Bundestag verabschiedet wird. Im Juni 2007 ist die Entschädigung abgeschlossen. Die Stiftung zahlt laut eigenen Angaben an 1,66 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter und deren Angehörige 4,37 Milliarden Euro. Der Rest des Stiftungskapitals fließt Projekten zu, die an die Zwangsarbeit erinnern oder sich um Verständigung zwischen Deutschland und betroffenen Ländern bemühen.