Geschichte

Emma Ihrer: die unaufhaltsame Gewerkschaftskämpferin

Ihr Leben war geprägt vom Kampf für die Rechte von Frauen und Arbeitnehmer*innen. In Clara Zetkin fand Emma Ihrer eine Mitkämpferin – und Freundin. Am 8. Januar 1911 starb sie mit gerade einmal 54 Jahren.
von Katharina Korn · 20. November 2018
Grabstein von Emma Ihrer in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Lichtenberg
Grabstein von Emma Ihrer in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Lichtenberg

Eine „unversöhnliche Hasserin jedes Vorurteils“, „unerschrockene Kämpferin gegen alle knechtenden und büttelnden Gewalten“ und „eine durch und durch mütterliche Natur“ sei Emma Ihrer gewesen. So beschrieb Clara Zetkin ihre Freundin und Mitkämpferin, als diese am 8. Januar 1911 im Alter von 54 Jahren gestorben war. Beide machten sich im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert für die proletarische Frauenbewegung stark.

Kapitalismus als Zuhälterei

Nach ihrer Heirat mit dem Apotheker Emanuel Ihrer zog die gebürtige Schlesierin 1891 nach Berlin, um dort als Hutmacherin zu arbeiten. Kurze Zeit nachdem sie in die SPD eingetreten war, kam es 1883 auf der Veranstaltung Wie kann man die Sittlichkeit der Arbeiterinnen heben? zu ihrem ersten bezeugten politischen Auftritt. Laut einer Genossin habe sie dort „mit warmer, aber schüchterner Stimme“ gesagt, dass Prostitution kein Problem der Sittlichkeit, sondern eine Folge der Hungerlöhne für Frauen sei. Weil Frauen als Heim- und Fabrikarbeiterinnen in der Textilindustrie maximal ein Drittel des Männerlohns erhielten, hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts Gelegenheitsprostitution in den Großstädten zu einem Massenphänomen entwickelt. Um 1900 begann dann die Frauenbewegung über das tabuisierte Thema zu reden.

Unterstützung von ihren männlichen Genossen erfuhren die Arbeiterinnen damals nicht. Sie fühlten sich in ihrer eigenen Lebenslage von den Frauen bedroht und sahen sie als gefährliche „Schmutzkonkurrenz“, welche die Löhne drücke und die Männer in die Arbeitslosigkeit treibe. Ihrer forderte deswegen: „Es müssen vor allen Dingen die Arbeiterinnen selbst gemeinsam gegen die erbärmlichen Löhne Front machen so wie gegen jede unwürdige Behandlung seitens der Arbeitgeber.“

Arbeiterinnen im Klassenkampf

Die Sozialdemokratin entschied sich bewusst gegen das bürgerliche Leben einer Frau. Das Apotheker-Einkommen ihres Ehegatten hätte ihr dies durchaus ermöglichen können. Trotzdem engagierte sie sich aber in erster Linie für die proletarische ­– und nicht für die bürgerliche – Frauenbewegung. In ihrer 1898 erschienen Broschüre Die Arbeiterinnen im Klassenkampf erklärte sie, dass beide Strömungen unvereinbar miteinander seien, „weil beide Teile sich einfach nicht verstanden, da sie gleichsam aus verschiedenen Welten kamen, ihre Sprache, ihre Gewohnheiten, ihr Denken und Fühlen so grundverschieden voneinander war, eine natürliche Folge der Klassenunterschiede der Arbeiterfrau und der Frau des besitzenden Standes“.

Schon lange bevor am 15. Mai 1908 das Reichsvereinsgesetz – das erstmals auch Frauen erlaubte, politische Vereine zu gründen und Parteien beizutreten – in Kraft trat, wurde Ihrer 1885 in den Vorstand des Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen gewählt. Dort unterstützten sich Frauen und Mädchen gegenseitig bei Lohnstreitigkeiten und bildeten sich durch wissenschaftliche Vorträge fort. Vor allem aber forderten sie „Lohngleichheit der Männer- und Frauenarbeit!“, wie es in einem der Vereinsflugblätter heißt. Zudem organisierten sie Demonstrationen – etwa gegen die Einführung des Nähgarnzolls, der die Heimarbeiterinnen, die das Garn selbst bezahlen mussten, schwer getroffen hätte.

Frauenagitatorin

Dass der Zusammenschluss schon ein Jahr nach seiner Gründung von der Polizei aufgelöst und die Gründerinnen – zu denen Ihrer gehörte – zu Geldstrafen verurteilt wurden, schreckte die Aktivistin nicht ab. Nachdem das Sozialistengesetz 1890 aufgehoben wurde, wurde sie neben sechs Männern als erste Frau in den Vorstand der Generalkommission der Gewerkschaften gewählt. Dort war sie insbesondere als „Frauenagitatorin“ tätig.

Emma Ihrer setzte sich immer wieder über Schranken, die ihr das patriarchale Kaiserreich in den Weg legten, hinweg. Sie wusste, dass die Männer – einschließlich der Arbeiter – ihre Privilegien nicht freiwillig abgeben würden. Das ist heute nicht anders. Eine die Gesellschaft repräsentierende Frauenquote in Vorständen der DAX-30-Unternehmen oder im Bundestag sowie Lohngleichheit müssen auch heute gegen jeden Widerstand erkämpft werden. Besonders in Zeiten, in denen Rechtspopulisten weltweit alte Geschlechterverhältnisse wieder herbeireden, ist es um so wichtiger, sich an Frauen wie Emma Ihrer und Clara Zetkin zu erinnern.

Autor*in
Katharina Korn

studiert Geschichte und Deutsche Literatur und war Praktikantin in der vorwärts-Redaktion von Oktober bis Dezember 2018.

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