Geschichte

Eine sozialistische Alternative

von Birgit Güll · 22. Mai 2010
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Die meisten Westdeutschen mochten die Republik der Habenichtse ohnehin nie, jetzt hängt sie ihnen zum Hals raus, weil sie nun die Ossis nicht mehr loswerden können. ... Die Sieger ramschen und würgen im und am Land und in seinen Leuten", so Helmut Hanke. Das klingt bitter, ist wohl auch so gemeint. Schließlich hat das Ehepaar Hanke daran geglaubt, das nach Krieg und Faschismus eine sozialistische Zukunft möglich ist. Diese wollten die 1931 geborene Brunhilde Hanke und ihr ein Jahr jüngerer Mann Helmut mitgestalten.

Eine große internationalistische Bewegung

1951 geht Brunhilde, bis dahin Lehrerin an einer Jugendhochschule der Freien Deutschen Jugend (FDJ), nach Moskau: Ein Jahr lang studiert sie an der Zentralschule der Komsomolzen, fühlt sich als Teil einer großen internationalistischen Bewegung. Sie wird in den Zentralrat der FDJ gewählt und 1961 - kurz nach dem Mauerbau - zur Oberbürgermeisterin von Potsdam. Zu diesem Zeitpunkt hat sie ein Fernstudium an der Parteihochschule abgeschlossen und drei Kinder zur Welt gebracht: Bärbel kam 1952, zwei Jahre später Annemarie und 1957 noch Rudolf.

Was Brunhilde dem Chronisten Uwe-Karsten Heye schildert, ist ein aufreibendes Leben zwischen Partei und Kinderzimmer. Ergänzt wird ihre Geschichte von den Erinnerungen der ältesten Tochter Bärbel. Sie beschreibt ihre Mutter als "unsere Sonne, unsere Wärmequelle, die sich leider andauernd ausknipst, um Staat und Partei zu dienen. Unseren Konkurrenten." Es beginnt ein Buhlen um die Aufmerksamkeit der viel Beschäftigten. Dabei richten sich die Forderungen der Kinder offenbar nur an die Mutter. Sie ist die Adressatin der Vorwürfe, nicht der Vater, der Professor für Kulturwissenschaft an der Akademie der SED.

Zwischen Ideal und Realität

Bärbel und ihre Eltern entfremden sich zunehmend: "Junge Leute, die mir gefielen, mieden mich, weil ich eine Funktionärstochter war." Die 14-Jährige probt den Aufstand gegen die Eltern und alles was ihnen wichtig ist. Sie läuft Sturm gegen die "haarsträubende Kluft zwischen Ideal und Realität" der DDR. Was Bärbel nicht weiß: Auch in Brunhilde und Helmut nagt der Zweifel an einer Führungselite, die sich zunehmend abschottet, den Kontakt zur Lebenswirklichkeit der Menschen verliert. Doch sprechen können sie darüber nicht.

Bärbel Dalichow bereitet Ende der 1970er - sie ist inzwischen selbst Mutter - ihre Republikflucht vor. Sie scheitert noch in der Planungsphase. Brunhildes Stellung in der Partei schützt die Tochter vor den Konsequenzen. Und sie steht zu Bärbel - gegen die Erwartungen der SED. Doch über die Gründe, die zu Bärbels Handeln führten, wird im Hause Hanke geschwiegen. Helmut Hanke übt in seinen Vorträgen offen Kritik am Weg, den die DDR eingeschlagen hat. Doch Bärbels versuchte Flucht goutiert er nicht.

Die Geschichte der Sieger

Helmut Hanke selbst bezahlt seine SED-Kritik mit dem Rausschmiss aus der Akademie. Ein psychischer Zusammenbruch ist die Folge. Lothar Bisky holt ihn an die Filmhochschule Babelsberg. Das Ende der DDR lässt Hanke verstummen. So erzählt er Uwe-Karsten Heye kaum persönliche Erinnerungen - im Gegensatz zu Brunhilde Hanke. Sie vertraut sich ihm an. Ihm, dem Journalisten, dem Westdeutschen, der misstrauisch wird, wenn er mit Urteilen darüber konfrontiert wird, wie man sich als Bürger der DDR zu verhalten hatte. Mit Heye spricht Brunhilde Hanke über ihre Erfahrungen und über die maßlose Enttäuschung angesichts des Scheiterns der DDR.

Dass "der Westen den Osten wie selbstverständlich zu vereinnahmen schien und seine Bewertungen über die DDR als allgemeingültige Erkenntnis durchzusetzen suchte", auch davon erzählt das Buch. Denn es sind nicht die "Sieger", die Uwe-Karsten Heye ihre Geschichte erzählen. So formuliert Helmut Hanke: "Es ist der zerrissene und verstörte Charakter unserer unglücklichen und verspäteten Nation. Die DDR war und bleibt daher eine wichtige geschichtliche Episode auf ihrem verstrauchelten Weg."

Uwe-Karsten Heye/Bärbel Dalichow: "Wirwollten ein anderes Land. Eine Familiengeschichte aus der DDR", Droemer Verlag, München, 2010, 288 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-426-27530-6

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Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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