Geschichte

Ein Mann voller Disziplin

von Jörg Hafkemeyer · 1. Dezember 2008
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Es gibt eine Fotografie von ihm aus dem Jahr 1970. Volles, dunkles Haar, in der rechten Hand eine qualmende Zigarette, unter dem linken Arm einen Aktenordner. Dreiteiliger Anzug, schwarze Schuhe. Schmidt steht vor einer dunklen Wand, sein Blick fixiert den Betrachter. Der damals für einen Politiker noch recht junge Mann ist Verteidigungsminister. Dagegen hatte er sich lange gewehrt. Er wollte sein Amt als Fraktionsvorsitzender nicht aufgeben. Zehn Jahre später sitzt er strahlend und rauchend in London neben der lachenden britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit als Kanzler.

Erst geachet, dann geliebt

Helmut Schmidt gehört zu den Politikern, die nicht das Talent haben, sich zu drücken oder wegzulaufen. So ähnlich hat es Hans-Jürgen Wischnewski vor vielen Jahren einmal formuliert. Er ist der Kanzler, der die Bundesrepublik Deutschland durch das Jahr 1977, jenes Jahr des Terrors führt, durch den "Deutschen Herbst", der eigentlich ein Winter ist, so eisig ist das gesellschaftliche Klima im Land geworden. Er ist der Mann, der Wischnewski als Trouble-Shooter nach Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia schickt, um die Geiseln in der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" zu befreien.

Als der ihn anruft und meldet, die Geiseln sind frei, weint Helmut Schmidt. Beide Männer sind im Weltkrieg Offiziere. Beide Männer machen sich nach der Befreiung von den Nationalsozialisten daran, ein demokratisches Deutschland aufzubauen. Beide verkörpern den gesunden Menschenverstand in der Politik. Schmidt wird dafür heute mehr denn je geachtet, von vielen geliebt.

Architekt Europas

Sie verehren in ihm den großen Europäer, der des Abends schon mal mit seinem Freund und Verbündeten Valéry Giscard d'Estaing in der Kellerbar des schmidtschen Hauses in Hamburg sitzt, europapolitische Fragen bespricht. Als Kanzler ist er energisch, so sehr, dass er auch die Abgeordneten der eigenen Fraktion nach seiner Wahl 1974 schwer beeindruckt, als er sie während seines ersten Auftritts als Kanzler anfährt, sie würden die Tuchfühlung zu den Menschen und das notwenige Augenmaß verlieren: "Ihr müsst aufpassen, nicht zu Hochstaplern zu verkommen." Seine Energie verlässt ihn während seiner Amtszeit nicht. Ist er, wie bei dem von ihm 1979 auf der Karibikinsel Guadeloupe mit entwickelten NATO-Doppelbeschluss, von einer Sache überzeugt, verfolgt er sie geschickt und unnachgiebig, setzt sie auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen durch.

Sicher wird er während seiner Kanzlerschaft nicht geliebt. Geachtet und respektiert gewiss, auch weil er zu jenen immer weniger werdenden Politikern gehört, die für etwas stehen, ihre Position vertreten und sich nicht davonmogeln. Das gilt auch für den Augenblick seiner großen politischen Niederlage: Es ist der 1. Oktober 1982. Die FDP hat die Seiten gewechselt und ist zur CDU übergelaufen. Bundestagspräsident Richard Stücklen verkündet das Ergebnis des konstruktiven Misstrauensvotums. Helmut Schmidt, der abgewählte Kanzler, sitzt auf seinem Platz. Ohne jegliche Regung. Viele Augenblicke. Bei der Amtsübergabe drei Tage später, es ist der 4. Oktober 1982, ein denkwürdiges Bild: Der Ex-Kanzler hat gesprochen, Helmut Kohl applaudiert.
Das ist 26 Jahre her. Der Respekt, die Zuneigung zu diesem Mann hat seitdem zugenommen. Wohl auch, weil er etwas verkörpert, was viele Menschen in der Politik vermissen: Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit.

 

Quelle: Vorwärts-Zeitblende Nr. 18, 10/2008

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Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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