Siegfried Aufhäusers Würdigung, ein Jahr nach dem Tod von Paul Hertz formuliert, charakterisiert einen Typus von Politikern, die mit Ratio statt Rhetorik sozialdemokratische Politik geschrieben haben.
Hertz zählt zu jenen politischen Kräften in der Sozialdemokratie, die jenseits des Arbeiter- und Handwerkermilieus gegen Ende des Kaiserreichs aus dem Angestelltenmilieu das politische Parkett betraten. Im Dreikaiserjahr 1888 in Worms in einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, wächst er in Hamburg und Stettin auf, absolviert eine Kaufmannslehre und schließt sich dem der Sozialdemokratie nahestehenden Zentralverband der Handlungsgehilfen an.
Mitglied der USPD
Mit 19 Jahren wird Hertz Verbandssekretär und studiert von 1910 bis 1914 als einer der Ersten mit einem Begabtenabitur Volkswirtschaft. Enttäuscht von der Zustimmung der SPD zu den
Kriegskrediten schließt er sich der USPD an, findet Ende 1918 als wirtschaftspolitischer Redakteur bei der USPD-Zeitung "Freiheit" seine Bestimmung.
Rätedemokratie, Sozialisierung, Umstellung von der Kriegs- auf Friedenswirtschaft, das sind seine Themen. In Siegfried Aufhäuser, den Angestelltengewerkschafter und USPD-Anhänger findet Hertz einen politischen Weggefährten, von dessen Temperament er sich unterscheidet, aber kaum in den politischen Grundzügen, zumal Aufhäusers Herkunft sich der von Hertz sehr ähnelt. Beide sehen sich als Sozialisten, aber nicht als dogmatische Marxisten. Paul Hertz zeigt sich als Moralist: In die Debatte um Friedensvertrag und Reparationen wirft er seine Idee: In die vom Weltkrieg besonders gebeutelte französische Region um Longwy sollten demobilisierte, arbeitslose Deutsche umfassend Wiederaufbauleistung erbringen; eine Win-win-Konzeption, die politisch aber nicht tragfähig wurde.
SPD-Mitglied im Reichstag bis 1933
Als die USPD sich spaltet, die Mehrheit zur KPD wandert, bleibt Hertz an seinem politischen Standort, plädiert dann auch für die Wiedervereinigung mit der SPD. Schon 1920, als bei den
Reichstagswahlen die SPD in der Wählergunst abgerutscht und die USPD mit 81 Mandaten zweitstärkste Kraft in Reichstag geworden war, ist er Reichstagsabgeordneter geworden. Er bleibt dann als
SPD-Mitglied im Reichstag bis 1933, wird gar Fraktionssekretär.
Sein politisches Herz gehört der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Heftige Wortgefechte liefert er sich auf dem parlamentarischen Parkett vor allem mit dem Deutschnationalen Karl Helfferich. In der SPD-Fraktion ist das Büro von Paul Hertz Schaltstelle sozialdemokratische Wirtschafts- und Finanzpolitik. Als Rudolf Hilferding 1929 im Kabinett Hermann Müller zurücktritt, soll Hertz Finanzminister werden. Er lehnt ab, gar in aller Öffentlichkeit, in einer Rundfunkansprache. Er sieht unter den Koalitionsbedingungen keine tragfähige sozialdemokratische Finanzpolitik für praktikabel.
Sein Sozialismusbild ist idealistisch und pragmatisch: Es soll die Lebenshaltung der "Volksmassen" sichern, die Wirtschaft beleben. Er ist der Überzeugung, dass "der Übergang vom kapitalistischen zum sozialistischen System kein einmaliger und kurzfristiger Akt ist, sondern ein langsamer und allmählicher, der von der Kraft und der politischen Einsicht der Arbeiterklasse abhängt", formuliert er in der Zeitschrift "Der freie Angestellte" 1931. Er erlebt den Tiefpunkt der parlamentarischen Arbeit in Deutschland am 23. März 1933 mit dem Beschluss des Ermächtigungsgesetzes für Hitler.
Mitglied im Sopade-Vorstand
Paul Hertz flieht Anfang März zunächst nach Saarbrücken, wo sich der Exilvorstand der SPD konstituiert, geht zuerst nach Paris, dann nach Prag, gehört dem Sopade-Vorstand an. In der Auseinandersetzung zwischen Parteirechten und -linken versucht Hertz eine Mittlerrolle, kann das Ausbooten seines Freundes Aufhäuser nicht verhindern. Auch Hertz hat sich der Reformgruppe "Neubeginnen" genähert, die eine undogmatische, aber distanzierte Position zu den Kommunisten einnimmt. Nachdem er sich offen zu "Neubeginnen" bekannt hat, wird auch er wie Rudolf Breitscheid argwöhnisch beobachtet, zumal er auch Gespräche mit Kommunisten wie Walter Ulbricht nicht ablehnt. Als der Sopade-Vorstand die Einstellung von Hertz' "Zeitschrift für den Sozialismus" beschließt und er opponiert, wird er ausgeschlossen. Er fühlt sich politisch gemaßregelt.
Paul Hertz flieht 1939 in die USA, betätigt sich dort fernab der Politik als Wirtschaftsprüfer. Erst 1944 bei der Gründung des Council for an Democratic Germany, einer Initiative von "Neubeginnen-Akteuren", begibt er sich wieder auf politisches Parkett und findet sich an der Seite seines langjährigen Freundes Siegfried Aufhäuser. Hertz prägt das wirtschaftspolitische Kapitel des Council, dem allerdings politische Einflussnahme versagt bleibt.
Paul Hertz ist in den USA wirtschaftlich gut etabliert, als ihn der Ruf von Ernst Reuter ereilt. Das Pflichtgefühl siegt. Hertz kehrt 1949 nach Berlin zurück, wird beim Magistrat Beauftragter für Finanz- und Wirtschaftspolitik, dann Senator für Marshall-Plan und Kreditwesen und schließlich von 1955 bis 1961 Senator für Wirtschaft und Finanzen. Ein einflussreicher Posten mit Schattenseiten.
Paul Hertz musste in Bonn bei der Adenauer-Regierung als Bittsteller antichambrieren, was ihm nicht sonderlich behagt hat. Er organisiert erfolgreich das Berliner Notstandsprogramm, das vorrangig Wohnraum in den zerbombten Stadtteilen schafft. Dank seiner Beharrlichkeit stützt der Bund trotz aller Krisen die Berliner Wirtschaft. Eine erneute Herausforderung kann er nicht mehr bewältigen: den Mauerbau. Nur wenige Wochen danach stirbt Paul Hertz. Eine Neubau-Siedlung im Berliner Stadtteil Siemensstadt erinnert an ihn. Nicht gerade viel.