Geschichte

„Ein hingeschissenes Fragezeichen“

von Birgit Güll · 29. April 2009
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"Ich bin der Sunnyboy der deutschen Gegenwartsliteratur. Ein hingeschissenes Fragezeichen", so Walter Kempowski über die öffentliche Wahrnehmung seiner Person. Diese betrachtete er "mit einem seltsamen Gefühlsgemisch aus Wahrheitsliebe, gekränktem Stolz und heiterer Schicksalsergebenheit", schreibt Gerhard Henschel. Der Schriftsteller ist mit Kempowskis Werk vertraut - sein eigenes ist jenem Kempowskis verwandt. Henschel kannte den viel geschmähten Autor persönlich. Aus dieser Bekanntschaft macht Henschel keinen Hehl. Allerdings - und das ist wohl einer der großen Vorzüge des Buches - biedert er sich nicht an, wartet nicht mit vermeintlichem Insider-Wissen oder gar intimen Details auf.

"Langzeitwirkung ungerechter Verrisse"
Henschel suchte Archive auf, sprach mit Zeitzeugen und machte die öffentliche Wahrnehmung Kempowskis an öffentlichen Äußerungen fest. Er stellt dar, wie sich Kempowskis Selbstinszenierung und die "Langzeitwirkung ungerechter Verrisse" zu einem Bild zusammenfügten. Anhand umfangreicher Werk-Zitate zeigt er, dass die vernichtenden Urteile über Kempowski jeder Grundlage entbehrten.

Henschel straft die Legende vom "Geschichtsklitterer" Kempowski Lügen: Hätte der "Chronist des deutschen Bürgertums" den Wunsch vieler geteilt, einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit zu setzen, gebe es keines der Werke Kempowskis. Seinen Büchern ist die Kritik am Nationalsozialismus und an der bürgerlichen Welt, in der dieser prächtig gedieh, inhärent. "Meine ganze Arbeit zielt darauf ab, unsere Schuld aufzuzeigen", so der Schriftsteller. Die Figuren in seinen Büchern stehen symbolisch für eine Nation, "die sich der Verantwortung für ihre gemeinschaftlich begangenen oder geduldeten Taten zu entziehen versucht", schreibt Henschel.

"Gespenster der Vergangenheit"
Kempowski pflegte seine Macken, kokettierte mit ihnen. Er schien es zu genießen, sein Gegenüber zu irritieren. Dass er als äußerst schwierig galt, lag aber - wie Henschel betont - "sicherlich auch an seiner Weigerung, stromlinienförmige Meinungen zu äußern und sich dafür in den Medien als mutiger Querdenker feiern zu lassen." Seine Ansichten - gerade jene über die DDR - waren unpopulär. Doch ließen ihn die "Gespenster der Vergangenheit", so Henschel, nicht los: Als 19-Jähriger war er wegen einer Verbindung zum US-Geheimdienst zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, acht Jahre saß er in Bautzen. Im Wasserkarzer wurde er gezwungen, auch seine Mutter zu belasten - für diese bedeutete das zehn Jahre Haft.

"Das ist mein ganzer Kummer, denn diese Schuld hat mich seither begleitet, und ich werde sie niemals wieder los", so Kempowski. Nach der Zeit im Knast wurde er in den Westen abgeschoben, wo man "auf eine verkrachte Existenz wie ihn gerade noch gewartet hatte", schreibt Gerhard Henschel. Mühsam war Kempowskis Weg zu einem Leben zunächst als Lehrer, danach als Schriftsteller. Seine Reputation hatte er immer im Blick, war maßlos enttäuscht, keinen der großen deutschen Literaturpreise erhalten zu haben. Er musste damit leben, dass er "aus allen Richtungen Gegenwind bekam und trotzdem als Opportunist verrufen war", unterstreicht Henschel.

"Mein Andenken wird man zertreten"
"Weil ich als Konservativer gelte, wird man mich ausspeien, und mein Andenken wird man zertreten: Deshalb wird es gut sein, wenn ich möglichst viel Archivmaterial hinterlasse. Da können sie dann nicht umhin", notierte Kempowski. Ein gewaltiges Arbeitspensum hatte der Autor sich auferlegt und suchte es nach Kräften zu erfüllen. Doch seine intensive Archivarbeit brachte ihm lediglich den Ruf eines sammelwütigen Zettelkasten-Historikers ein. Und der Verkaufserfolg seiner Bücher machte ihn erst recht nicht zum Liebling der Kritiker.

2007 verstarb Walter Kempowski. Erst der Tod befreite ihn "von seiner Not, seiner ewigen Lebensnot, nicht anerkannt zu werden", so seine Frau Hildegard. "Soll man nicht denken, wenn man ´nen Menschen kränkt, wie lange das nachwirkt", so Kempowski zu seinem Hunger nach Ehrungen und Anerkennung. "Bei aller Ruhmsucht, die ihm vorgeworfen worden ist, hat er sich immer wieder selbst geprüft und kritisiert", schreibt Henschel: Der Schriftsteller habe eingesteckt und ausgeteilt, aber er sei nicht selbstgerecht oder erbarmungslos gewesen.

"Für Kempowski die Trommel rühren"
"Als freier Autor nahm ich, so oft es ging, die Gelegenheit wahr, für Kempowski die Trommel zu rühren", schreibt Gerhard Henschel. Nun ist ihm mit "Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski" ein eindrucksvolles Porträt des Schriftstellers gelungen. Seine Bewunderung für Kempowskis Arbeit erwähnt er, entwickelt daraus aber keine kritiklose Glorifizierung des Schriftstellers. - Henschel ist durchaus bereit, fragwürdige Äußerungen Kempowskis als solche darzulegen.

Auf Basis eines intensiven Quellenstudiums und eigener Forschungen beleuchtet er den Schriftsteller und sein sonderbares Image. Dabei gibt Henschel selten eindeutige Antworten. Es ist gerade diese Ergebnis-Offenheit, welche die Betrachtung facettenreich macht und Einsichten ohne Urteile ermöglicht. Aufdringliches Psychologisieren liegt Henschel ebenso fern wie das Ausschlachten der persönlichen Bekanntschaft. Auf die Werkverwandtschaft verweist er, ohne daraus eine unangebrachte Deutungshoheit zu entwickeln. Das Buch ist eine kenntnisreiche Analyse ohne Besserwisserei oder Anbiederung - und damit ein wertvoller Beitrag zu Kempowskis Biographie. Ganz nebenbei ist es auch ein Lesevergnügen.



Gerhard Henschel: "Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski", Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2009, 233 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-423-24708-5





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Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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