Geschichte

Ein dampfender Vulkan

von Die Redaktion · 29. Juni 2006
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Lebte er noch, würde er am 11. Juli seinen hundertsten Geburtstag feiern. Was würde er uns sagen, könnte er diese Zeit nach der großen Wende betrachten? Er starb 1990. Was wäre ihm so gegen den Strich gegangen, dass er es lauthals und gleichwohl analytisch bestechend herauspoltern würde? Wie würde er den entfesselten Kapitalismus dieser Tage beschreiben, und was wäre seine politische Antwort?

Herbert Wehner, dem dieser Tage eine Reihe von Gedenkveranstaltungen gewidmet werden, wirft noch immer lange Schatten, die weit in die Partei und zurück in die Nachkriegszeit der westdeutschen Bundesrepublik ragen.

Es wird kaum gelingen, über diesen Mann zwei Zeitzeugen zu finden, die ein auch nur annähernd gleiches Bild von ihm haben. Vermutlich könnten sie nur den Teil von ihm beschreiben, den er ihnen zugänglich gemacht hat. Mancher wird sich nur an den Polterer erinnern, der immer in politischen Kategorien zu denken schien und der einer gedachten und immer eingehaltenen strategischen Spur folgte.

Er, dem die Eroberung der Regierungsmacht für die Sozialdemokraten über den viel geschmähten Umweg der "Großen Koalition" als taktische Meisterleistung zugeschrieben wird, war zugleich einer der Abräumer überständigen ideologischen Felsgesteins, um das so bereinigte Programm von Godesberg durchsetzen zu helfen.

Es war ein langer und steiniger Weg bis er zu dem Pragmatismus geriet, der ihn in den Kreis der Reformer führte, die im wesentlichen die moderne Sozialdemokratische Partei prägten. Wann immer ich an diesen Mann denke, der mir wie ein dampfender Vulkan in Erinnerung ist, der jeden Augenblick ausbrechen konnte, kommt mir Erich Mühsam ins Bild. Dieser kleine Mann mit Zwicker, der Schriftsteller, Anarchist, Sozialist, Humanist und Leitfigur der kurzlebigen Münchner Rätepublik. Ein Feuerkopf und wohl so etwas wie der politische Pate des jungen Herbert Wehner. Dieser wird Mitglied von Erich Mühsams "Syndikalischer Arbeiterföderation" und schreibt für dessen Zeitung "Fanal". Mühsam, dieser wundersame Mensch, wurde im KZ Oranienburg umgebracht.

Aber zurück zu dem Herbert Wehner, den wir als fesselnden Debattenredner kennen. Ohne Willy Brandt wäre mutmaßlich keine seiner politischen Kopfgeburten und Zielsetzungen realitätsverdächtig geworden. Es braucht beide, um den Aufstieg der deutschen Sozialdemokratie nach dem Furor des Kurt Schumacher zu erklären. Zu diesem Duo trat dann der damals vergleichsweise junge Helmut Schmidt hinzu und damit war ein Trio komplett, ohne das heute SPD gar nicht mehr gedacht werden könnte.

Jahrhundertgestalten, die in ihrer Vita jeweils die ganze Tragik des blutigen 20. Jahrhunderts spiegeln. Und Wehner der Zerrissenste und Widersprüchlichste in diesem Trio tat sich am schwersten, die Prüfungen zu verdauen, die ihm seine verschiedenen Leben auferlegten. Ein großer Mann, der das, was man einen weichen Kern nennt, gut zu verdecken wusste. Dennoch wurde dieser andere Wehner manchem und mancher offenbar, wie das Foto mit seiner späteren Frau Greta auf dieser ihm gewidmeten Seite zeigt.

Zur Rezension: Der Mann mit der Pfeife

Eine neue Biografie beschreibt das Leben von Herbert Wehner - die erste umfassende, die alle verfügbaren Quellen auswertet.

Mehr Informationen zum Leben von Herbert Wehner: Herbert-Wehner-Bildungswerk

Die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Herbert Wehner im Juli 2006:

Schmidt, Müntefering und Vogel würdigten Herbert Wehner zum 100. Geburtstag

"Herbert Wehner gehörte zu einer Handvoll wirkungsvoller Politiker des 20. Jahrhunderts" so würdigte Helmut Schmidt Herbert Wehner zum 100. Geburtstag in dessen Geburtsstadt Dresden. Wehner war mit Herz und Seele ein politischer Mensch, betonte Schmidt zum Festakt am 11. Juli 2006 im Kleinen Haus des Staatschauspiels Dresden, zu dem das Herbert-Wehner-Bildungswerk eingeladen hatte.

Schmidt, der als Bundeskanzler eng mit dem einstigen Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Wehner zusammen gearbeitet hatte, beschrieb den Weggefährten vor allem als verlässlichen Partner. Er habe Wehner vertraut und dieses Vertrauen sei nicht enttäuscht worden.

Wörtlich sagte er:

"Wir sind weder enge persönliche Freunde gewesen, noch haben wir in allen Fragen des persönlichen Stils oder der Wortwahl miteinander übereingestimmt - aber darauf kam es doch gar nicht an! Es wäre eine irreale, ja absurde Vorstellung, an der Spitze eines Staates oder auch nur einer Partei müsse ein persönliches Freundschafts- oder gar Liebesverhältnis bestehen."

Stattdessen gehe es um Loyalität, Solidarität und gemeinsames Ziehen am gleichen Ende des Stranges, zum gleichen Ziel und Zweck, so Schmidt.

Der Saal des Kleinen Hauses bebte vor Beifall: Die über 400 Gäste erhoben sich, als der 87-jährige Schmidt seine Rede beendet hatte und von der Bühne stieg.

Herbert Wehner war und bliebe einer der großen in der Sozialdemokratie und in Deutschland, würdigte Vizekanzler Franz Münterfering in der Laudatio sein Vorbild.

"Der Mann brannte. Nicht lichterloh, schon gar nicht als Strohfeuer. Sondern sehr kompakt. Nachhaltig, sagt man heute wohl dazu. Manchmal war er ein Vulkan."

Die Biografie eines so großen Mannes könne man nicht an Ausschnitten messen. Die volle Lebensleistung, das ganze Leben, der Mensch und Politiker Herbert Wehner verdiene Respekt.

Ausdrücklich hob Müntefering hervor, dass Wehner immer ein waches Auge für die Bedeutung des Sozialen gehabt habe. Die Antriebskraft war es, Menschen zu helfen.

Greta Wehner, die langjährige Begleiterin und Witwe von Herbert Wehner war von den Reden sehr berührt und dankte allen, die gekommen waren. In Ihrem Schlusswort rief sie dazu auf, das Erbe Herbert Wehners zu wahren und seine Leistungen heute erfahrbar und nutzbar zu machen (den Aufruf des Stiftungsbeirats der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung zum 100. Geburtstag finden Sie hier).

Der ehemalige Bundesjustizminister Jürgen Schmude, der die Gedenkveranstaltung eröffnete, gab einen persönlichen Rückblick auf Herbert Wehner.

Der Festakt im Kleinen Haus war der Höhepunkte der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Wehners in Dresden. Den Auftakt bildete um 10.30 Uhr im alten Landtag die SPD-Landtagsfraktion. Unter dem Titel "Herbert Wehner. Das ganze Leben zählt" berichtete Cornelius Weiss, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, über seine Eindrücke beim Lesen der jüngst erschienenen Herbert-Wehner-Biografie. Anschließend diskutierte Hans-Jochen Vogel mit Autor Christoph Meyer und manchem Wegbegleiter Wehners über dessen Leben und das neu erschienene Buch. Den Ausklang des Geburtstages bildete in lockerer Runde das Grillfest im Garten des Bildungswerks.

Quelle: http://www.wehnerwerk.de

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