Geschichte

Die unerzählte Geschichte

von Michelle Schumann · 19. März 2009
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Reinhard Höppner wählt die Perspektive des Vaters, der versucht, seinem Sohn eine Antwort auf die Frage zu geben, ob er früher - zu Zeiten der DDR - glücklicher war. Seine Antwort hat 147 Seiten, ist im Aufbau-Verlag erschienen und kommt ohne pauschale Urteile und Beschuldigungen aus. Doch wie jede erzählte Erfahrung birgt das Buch auch Diskussionsstoff, wenn Höppner etwa die Stasi mit dem Mobbing heute vergleicht.

Das Wunder, das Reinhard Höppner beschreibt, ist der friedliche Kampf der Oppositionellen in der DDR, die mit Freiheitsberaubung und Angst im System des real existierenden Sozialismus nicht leben wollten. Dabei waren "die Oppositionellen in der DDR keine Einheit, sie waren vielmehr in zwei Gruppen getrennt", beschreibt Höppner die Systemgegner. "Die einen trugen Plakate auf denen stand: Wir wollen raus. Die anderen trugen Plakate auf denen stand: Wir bleiben hier. Eine bemerkenswerte Drohung!" - beide trugen letztendlich dazu bei, die Mauer in Deutschland zu Fall zu bringen.

Er erzählt von den Friedensdemonstrationen im Oktober 1989, von denen die Demonstranten nicht wussten, ob sie im Blutbad oder im Gefängnis enden würden: "Unsere Kinder waren noch so klein, dass wir nicht wagten, sie mitzunehmen. Wir gaben ihnen einen Zettel mit einer Telefonnummer, die sie anrufen sollten, falls wir nicht wiederkämen." Und er berichtet von der Zeit des unerwartet rasanten Aufbruchs, von gemachten Fehlern, die bis heute wirken.

Die Erfahrungen der Menschen, die ein anderes Deutschland erlebten, geben einen emphatischen Einblick in die Geschichte der DDR, die mehr ist als die Tage der gescheiterten Planwirtschaft, des Mauerbaus und des Zentralkomitees. Es ist eine Geschichte, gelebt und gemacht von Menschen, mit Fehlern durchaus, unter Anpassung und Ideologie. Aber es ist auch eine Geschichte, die bis heute für viele hinter einer Mauer versteckt geblieben und vergessen ist. Zu Unrecht: Denn sie handelt von Menschen mit Mut und Kraft zur Umgestaltung, mit dem Willen zur Freiheit und Demokratie. "Denn so fängt Demokratie an. Mit Menschen, die nicht vor den Problemen davonlaufen, sondern versuchen, die Verhältnisse vor Ort zu verändern."

Höppners Fragen an die Darstellung der Bundesrepublik zu ihrem 60. Geburtstag sind berechtigt. Sie sind notwendig. Wer erzählt die Geschichte dieser Menschen heute? Es braucht tatsächlich Anerkennung und kritischen Verstand sowie die Erinnerung an die "zwei Wurzeln" eines Landes. Dann sind wir der Zukunft zugewandt. Dann sind wir ein Volk. Und, zitiert Höppner den Lyriker Brecht: "Wer seine Lage erkannt hat, wie sollte der aufzuhalten sein?"

Reinhard Höppner, "Wunder muss man ausprobieren. Der Weg zur Deutschen Einheit", aufbau-Verlag, ISBN 978-3-351-02680-6

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Autor*in
Michelle Schumann

Volontärin beim vorwärts, Ratsmitglied der Stadt Herne

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