Geschichte

Die Stasi war immer dabei

von Renate Faerber-Husemann · 9. November 2009
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Laut ist es unter den Arkaden nahe der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte. Über den Kneipen rumpelt die S-Bahn. Vor den Türen lärmen Schülergruppen auf Klassenfahrt. Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR - und der einzige frei gewählte - rührt in seinem Milchkaffee und erzählt, wie das damals war in diesen verrückten Jahren 1989 und 1990, als der Eiserne Vorhang fiel und die DDR aufhörte zu existieren. Falsch sei es, dass die Mauer geöffnet wurde. "Sie wurde von den Menschen von innen aufgedrückt." Und er erinnert daran, dass das eine mitteleuropäische Revolution war, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn.

Die Westdeutschen staunten damals darüber, dass es vor allem Pastoren waren und Laien in kirchlichen Ämtern, die den Widerstand organisiert hatten und auch nach dem Fall der Mauer entscheidende Rollen spielten. "Die Kirche war eine Institution mit lebendigen demokratischen Strukturen. Synoden wurden gewählt, Bischöfe wurden gewählt. In der Kirchengemeinde hatte nicht der Pfarrer allein das Sagen, sondern ein gewählter Gemeindekirchenrat." Sie war zudem ein Schutzraum für Jugendliche wie Markus Meckel. Er war nach der 10. Klasse aus politischen Gründen von der Schule geflogen. Eine private evangelische Schule in Potsdam nahm ihn auf. Schon damals sei er von großer Sturheit gewesen, sagen seine Freunde. Hatte er sich einmal für einen Weg entschieden, dann konnte nichts und niemand ihn davon abbringen. Folgerichtig wurde Meckel später Totalverweigerer, ging damit einen schweren Weg in der DDR. "Ich vermute mal, damals war ich ein ganz grundsätzlicher Pazifist. Heute bin ich das nicht mehr."

Heute sind Europäische Sicherheitspolitik, die NATO und die Beziehungen zu Polen seine Themen, die er von 1990 bis 2009 auch im Bundestag vertrat.

Übung für den aufrechten Gang

Für Markus Meckel, Jahrgang 1952, und wenige Gleichgesinnte gehörte Widerstand schon in den 70er Jahren zum Alltag. Als er Pfarrer wurde in der Provinz, sammelten sich Menschen um ihn, denen die Kirche half "den Rücken grade zu machen, den aufrechten Gang zu üben, Zivilcourage zu zeigen". In den 80er Jahren bildete sich ein Netzwerk aus Friedens- und Umweltgruppen. Die jungen Menschen, die mitmachten, wurden ungeduldiger. Die kirchliche Arbeit reichte ihnen nicht mehr. "Mit Gorbatschow wuchs bei uns die Hoffnung, sicher wussten wir es natürlich nicht, aber es wuchs die Hoffnung, dass sich wirklich etwas ändern könnte."

Wenn Meckel "uns" sagt, meint er vor allem seinen Freund und Kollegen Martin Gutzeit. Die beiden fassten im Frühjahr 1989 den in jener Zeit absolut verrückt klingenden Plan, in der DDR eine sozialdemokratische Partei zu gründen. "Wir wollten die Machtfrage stellen, klingt ein bisschen absurd. Zwei evangelische Pastoren, die eine Volkspartei gründen und die Machtfrage stellen wollen." Warum sind sie nicht auf der Stelle im Stasiknast in Hohenschönhausen gelandet? Der heute 57-Jährige kann da auch nur spe­kulieren. Wahrscheinlich sei die Angst der Staatsführung zu groß gewesen, Verhaftungen würden das ganze Projekt bekannt und populär machen, vermutet er. Mitstreiter fanden die beiden couragierten Demokraten zunächst nur wenige. Das änderte sich erst durch die Ausreisewelle im Sommer.

Einer allerdings hatte sich längst dieser gefährlichen demokratischen Bewegung angeschlossen: Ibrahim Böhme, der zum ersten Vorsitzenden der Ost-SPD (damals noch SDP) gewählt und kurz nach den Märzwahlen 1990 als Stasiagent enttarnt wurde. Er war ein Charismatiker, der auch die Menschen im Westen faszinierte. Der Schock war groß, als sich herausstellte, dass seine ganze Biografie ein riesiges Lügengebäude und Böhme ein Verräter war. 1984 hatte Meckel ihn bei einem Friedensseminar kennen gelernt und sagt heute: "Es gab Phasen, in denen ich ihm traute und Phasen, in denen ich ihm misstraute." Die Situation vor der SDP-Gründung im brandenburgischen Schwante beschreibt er lapidar so: "Am Anfang waren wir vier und einer davon von Anfang an bei der Staatssicherheit."

Wenige Haare, aber üppige Bärte

Im Westen hatte man damals keine Vorstellung davon, wie sehr die Krake Stasi das Leben der DDR-Bürger unterwandert hatte. Das war der Grund, warum die DDR-Sozialdemokraten sich nicht Hilfe suchend an Willy Brandt wandten, als ihr Misstrauen wuchs. Man würde ihnen nicht glauben, ahnten sie. "Böhme war der Liebling der Partei geworden und wir hätten uns selbst herauskatapultiert, denn wir hatten ja keine Beweise." Der Stasi-Spion starb 1999, verkommen, einsam, auf Sozialhilfe angewiesen, gemieden von allen, die ihn einst kannten.

Markus Meckel aber wurde Mitglied der DDR-Regierung, die die einzige Aufgabe hatte, den Staatsvertrag zur Wiedervereinigung auszuhandeln und sich dann selbst abzuschaffen. Man hat noch die Bilder von damals im Kopf: Markus Meckel, der Außenminister, Rainer Eppelmann, der Abrüstungsminister. Die beiden Pfarrer hatten nicht viele Haare auf dem Kopf, dafür lange, üppige Bärte. Sie wirkten ein bisschen exotisch im Ausland. Im Westen war man fasziniert von diesen Basis­demokraten. An den "Runden Tischen" - deren Moderatoren meist wiederum Pfarrer waren - wurde heftig diskutiert und durchaus auch entschieden.

Markus Meckel ist längst ein ziemlich abgeklärter Polit-Profi. Sein gestutzter und sehr gepflegter Bart ist weiß geworden. Als Abgeordneter trug er die Politiker-Uniform aus Anzug mit Hemd und Krawatte. Auf die Frage nach seiner Bilanz, zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution, sagt er nüchtern: "Ich habe nicht den Himmel auf Erden erwartet, sondern demokratische Strukturen."

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Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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