Die Sozialdemokratie spaltete sich 1917 im Streit um den Ersten Weltkrieg. Doch die USPD war bei weitem nicht so weit von der SPD entfernt, wie es später die Kommunisten waren, betont der Historiker Bernd Faulenbach.
Die deutsche Sozialdemokratie ist stolz darauf, dass sie sich in ihrer 150-jährigen Geschichte stets für Verständigung und Frieden zwischen Staaten und Nationen eingesetzt hat. Dies gilt auch für den gegenwärtig viel diskutierten Ersten Weltkrieg. Und doch bedürfen die Haltung der Partei im August 1914 und die Parteispaltung 1916/17 zwar nicht vorschneller Verdikte, wohl aber der historischen Erklärung und dann auch der selbstkritischen Reflexion.
Im monarchisch-konstitutionellen System des Kaiserreichs hatten die Parteien, insbesondere die Sozialdemokratie, kaum Einfluss auf die Außenpolitik. Die Sozialdemokratie kritisierte den preußischen Militarismus, bejahte jedoch die Landesverteidigung. Noch Ende Juli 1914 riefen die Sozialdemokraten zu Antikriegsdemonstrationen auf und schickten Hermann Müller (den späteren Reichskanzler) nach Paris, um zu einer gemeinsamen Haltung von deutschen Sozialdemokraten und französischen Sozialisten zu kommen. Doch erklärten die Franzosen, dass sich Frankreich angegriffen sehe und sie ihre Regierung unterstützen würden, was zweifellos die deutsche Reichstagsfraktion in ihrer Entscheidung beeinflusste.
SPD glaubte an russischen Angriff
Eine besondere Rolle spielte auch, dass man glaubte, vom zaristischen Russland angegriffen zu werden. Marx und Engels hatten stets das Reich im Osten als Hort der Reaktion attackiert, Kautsky zählte es – in Unterschied zu Deutschland – nicht zu den modernen Staaten. Die dabei erkennbare Ablehnung der rückständigen Verhältnisse war mit einem Anflug von Überlegenheitsbewusstsein verknüpft, das übrigens die Wertschätzung russischer Literatur nicht ausschloss. August Bebel hat noch wenige Jahre vor seinem Tode erklärt, er wolle die Flinte noch schultern, wenn es gegen das verhasste zaristische Regime gehe.
Wenn die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in ihrer Sitzung am 4. August den Burgfrieden bejahte und Kriegskredite von der großen Mehrheit bewilligt wurden, dann auch im Reichstag geschlossen auftrat, so spielte die nationale Begeisterung und die Furcht, als national unzuverlässig zu gelten ebenso mit wie die Hoffnung auf Anerkennung der Arbeiterbewegung und auf Reformen, die bei den Gewerkschaften besonders ausgeprägt war.
Für die Verteidigung und gegen Annexionen
Im Reichstag trug dann Hugo Haase, der Fraktionsvorsitzende (der in der Fraktion gegen die Kriegskredite votiert hatte) eine Erklärung vor, in der die SPD-Fraktion die Verantwortung für die Folgen des Imperialismus und des Wettrüstens ablehnte und die Vergeblichkeit der internationalen Friedenskundgebungen bedauerte. Und dann sagte Haase: Angesichts des Krieges, der trotz eigener entgegengesetzter Bemühungen ausgebrochen sei, mache die Sozialdemokratie wahr, was sie immer gesagt habe: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.“ Allerdings fügte er hinzu, dass das Reich sich nach Sicherung seiner Selbständigkeit sogleich um Frieden bemühen solle. Annexionen waren mit der Sozialdemokratie nicht zu machen.
Wenn die Zustimmung der Partei zu den Kriegskrediten bald bröckelte, so hing dies wesentlich mit der rasch entstehenden annexiomatischen Kriegszieldebatte zusammen, die eine wachsende Gruppe von Abgeordneten der SPD annehmen ließ, dass hier eben doch ein imperialistischer Krieg geführt werde. Die ungeheuren Opfer an der Front und die wachsenden sozialen Spannungen verschärften die Kritik am Kriege.
So kam es zur Spaltung der Fraktion, die 1917 gar zur Parteispaltung in MSPD (der deutlichen Mehrheit) und USPD (der Minderheit) führte. Dabei verlief die Trennung nur teilweise entlang der Flügelbildung der Vorkriegszeit, die Kriegsfrage lag in gewisser Weise quer dazu. Eduard Bernstein und Kurt Eisner, die beide exponierte Vertreter eines Revisionismus waren, fanden sich in der USPD zusammen mit Rudolf Hilferding, Karl Kautsky und Rudolf Breitscheid wieder. Umgekehrt votierten die Linken Konrad Haenisch, Paul Lensch und Heinrich Cunow für die Kriegskredite.
Parteien nicht weit voneinander entfernt
Gewiss hatte die Spaltung ihre Eigendynamik. 1917 waren jedoch MSPD und USPD in den Kriegsfragen nicht sehr weit voneinander entfernt – jedenfalls aus heutiger Sicht. Am 15. Mai 1917 sprach sich der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann nachdrücklich für einen Verständigungsfrieden aus. Und am 19. Juli nahm der Reichstag mit den Stimmen von SPD, Fortschrittspartei und Zentrum – den Parteien der späteren Weimarer Koalition – eine Resolution an, die einen „Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung“ forderte. Gebietsabtretungen, politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen waren damit unvereinbar. Verständigungsfrieden und Demokratisierung verbanden MSPD und große Teile der USPD.
War die Kriegsfrage der Katalysator für die Spaltung von SPD und USPD, so war der entscheidende Gegensatz zwischen den beiden sozialdemokratischen Parteien einerseits und der Ende 1918 gegründeten KPD andererseits die Demokratie-Diktatur-Frage.
1920 schloss sich ein Teil der USPD der KPD an, doch verband sich 1922 die USPD wieder mit der SPD. Wichtige Köpfe wie Kautsky und Hilferding kehrten in die SPD zurück. Manche schlichte Urteile aus der heutigen Linkspartei verraten mehr über die Kontinuität ihrer Sicht zum SED-Geschichtsbild als über die SPD im Ersten Weltkrieg, in der Mehrheits- und Unabhängige Sozialdemokraten keine gemeinsame Antwort fanden. Dies lag zum erheblichen Teil an der Situation, für die die Partei nicht verantwortlich war und sie in Dilemmata stürzte, die zum Nachdenken anregen.
lehrt als Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Er war Vorsitzender der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand.